Belgiens begnadete Tortenwerfer-Kombo - Interview mit Noël Godin

 

Wer sind Sie, Noël Godin und Konsorten?


Wir sind eine Bande von üblen Schelmen, die allen unsympathischen
Berühmtheiten jeglicher Bereiche den Patisserie-Krieg erklärt haben. Wir
haben klein und bedeutungslos begonnen gegen die Gesichter von berühmten
Kulturschaffenden vorzugehen und sind nun Schritt für Schritt in die
verschiedensten Bereiche vorgedrungen. Nach der Kultur haben wir uns die
Informationsverdreher in Gestalt des PPDA (Anm.: Eigentlich Patrick Poivre
d'Avor, ein sehr berühmter Ansager  von TF1 (grösster französischer
Fernsehsender)) und des Direktor der France 2, Jean-Pierre Elkabbach und
Rolland-Garos vorgenommen, danach mit den Tortenanschlägen auf den
französischen Kulturminister Philippe Douste-Blazy in Cannes und letztes
Jahr auf Nicolas Sarkozy im  Palais de Congrès einen entschlossenen
politischen Kurs eingeschlagen.

Wann hat alles angefangen?

Alles geht auf den Tortenanschlag auf Marguerite Duras im November 69
zurück. Sie repräsentierte den inhaltslosen Roman.

Warum Bill Gates?

Nun gut, weil er in gewisser Hinsicht der Herr der Welt ist und seine
Intelligenz, sein enormer Einfallsreichtum und seine unerschöpflichen
Mittel in den Dienst des Staates stellt. Jämmerlich, wie er sich um die
Aufrechterhaltung der Welt wie sie ist, bemüht. Eine Welt in der alles
finster, ungerecht und ekelerregend ist. Er hätte die Macht sich utopisch
zu verhalten, doch bevorzugt er es, den gegeben Machtverhältnissen zu
dienen. Sein Einfluss ist bedeutender noch als derjenige von
Staatsoberhäuptern, die oft nur verschiedenartige Lakaien darstellen.
Deshalb war er zuoberst auf unserer Liste und wir wollten mit seiner Person
die auf Hierarchie beruhende Macht untergraben. Unser Kampfruf war wie
gewöhnlich sehr bezeichnend: " Entartons! Entartons! Le polluant pognon"
(etwa: Bewerfen wir den zerstörenden Zaster mit Torten ). Es war eine
Gruppe von Freibeutern ohne Chefs und ohne Hierarchie. Wir sind für die
Abschaffung hierarchischer Machtstrukturen, die Abschaffung der Politik an
sich, da alle Politiker für uns widerliche Gangster sind, die Abschaffung
des Geldes und der Arbeit.

Haltet ihr Versammlungen zur Erstellung von Listen mit potentiellen Opfern ab?

Ja, manchmal hier an diesem Tisch. Während wir feiern und trinken zetteln
wir eine Verschwörung an. Es kommt nie vor, dass wir nicht sofort ein
geeignetes Ziel finden. Dann bleibt zu Bestimmen wie wir es erreichen.

Wie seid ihr an Bill Gates rangekommen? Der muss doch ständig von
Leibwächtern umgeben sein!

Wir verkünden ständig die Namen von unseren begehrtesten Opfern und das
verbreitet sich. Je mehr wir davon sprechen um so grösser sind unsere
Erfolgschancen. Seit einigen Jahren gibt es ein neuartiges Phänomen:
Verräter aus dem Umkreis unserer Opfer kommen auf uns zu und versorgen uns
mit Insider-Tipps.  Da wir uns immer absolut unsympathischen Zeitgenossen
annehmen, sind diese natürlich weit davon entfernt, ganz von ihrem eigenen
Umfeld geliebt zu werden. Das ist unser Trumpf.
Zum Beispiel wurden in den letzten Jahren die folgenden Personen verraten:
Patrick Poivre D'Arvor, ( wir wussten alles über seine täglichen
Jogginggewohnheiten ), der Produzent Daniel Toscan du Plantier und der
französische Minister Nicolas Sarkozy. Im Fall von Bill Gates hat uns ein
Mitglied der Führungsetage von Microsoft Belgien kontaktiert und wir haben
ein geheimes Treffen ausgemacht und dank ihm konnten wir die Operation
erfolgreich durchführen. Das Ausplaudern dieser Information kann sich nicht
gegen unseren Informanten richten, da mehrere in Frage kommen und wir
natürlich jeweils deren Identität geheim halten. Unsere eigenen Komplizen
sind nicht einmal alle auf dem laufenden. Doch war es nicht schlecht, dass
sich diese Information ausgebreitet hat, da wir uns über die
microsoftinternen Verdächtigungen wunderbar amüsiert haben: "Wer hat uns
verraten?" "Wer ist der Verräter?".
Und so ist es eine Woche vorher gelaufen: Stück für Stück haben wir genaue
Infos über die Planung von Bill bekommen. Am Tag zuvor haben unsere
Komplizen in Paris die Ereignisse und das Verhalten, vor allem aber das
Treffen mit Jospin im Detail mitverfolgt. Wir haben gemerkt, dass er
ständig von maximal fünf  bewaffneten Gorillas umgeben ist. In Belgien
haben sie ihm dann vier Motorradfahrer zugeteilt, so dass wir genau zur
rechten Zeit am rechten Ort sein mussten.  Also hatten wir nur eine
Möglichkeit es zu schaffen: die Anzahl. Wir waren 30 Personen, was uns
schliesslich zum Erfolg brachte. Dank unserer wilden Bestimmung, dank
unserer aufbrausenden guten Laune und dank der Anzahl. Aufgeteilt in
Gloupier-Kampfeinheiten zu je drei Stück sind wir in die Rue d'Arlons
gegangen wo wir beim Concert Noble warteten. Dank dem vielen Verkehr sind
wir unbemerkt hin durchgekommen. Unter Sirenengeheul kam er an, stieg aus
dem Auto und als er die Stufen zum Concert Noble hinaufstieg versammelten
sich verschiedene Einheiten und verursachten einen Schwall aus Patisserie,
der sich über ihn ergoss und die Sicherheitskräfte völlig überrumpelte.
Überfordert wie sie waren gelang es keinem von ihnen die Knarre zu ziehen,
gelang es keinem zu intervenieren. Sie verharrten ebenso verdutzt wie Bill
selbst.

Was waren die Motive für den "Verräter" bei Microsoft?

Er hat uns gestanden, dass er Bill lange Zeit mochte, dass er ihn
sympathisch fand, dass er gerne und mit Leidenschaft dort arbeitete, aber
Stück für Stück sah wie ihm die Macht zu Kopf gestiegen ist, dass der Gute
sich seinen Mitarbeitern gegenüber immer hochmütiger benahm. So fand er und
einige seiner Kollegen, dass es nicht schlecht wäre ihm eine kleine Lehre
zu erteilen, damit er seine Füsse wieder auf dem Boden hat. Er hat auch
erklärt, dass er keinesfalls einer und uns ist und nicht im geringsten
Anarchist. Dass er zu Microsoft hält, ihm aber eine solche Sache richtig
erscheint.

Hatten Sie angesichts der bewaffneten Sicherheit keine Angst vor einer
Entgleisung?

Für einmal waren wir ziemlich beklemmt und hatten einige schlechte Nächte
davor. Vor allem haben wir auf die Professionalität der Sicherheitskräfte
gesetzt. Meinen Freunden hab' ich empfohlen, deutlich zu zeigen, dass es
sich um Patisserie handelt, zu lachen und ein "gloup, gloup" von sich zu
geben, was sie schliesslich nicht wirklich getan haben, weil die Spannung
einfach zu gross war. Um die nötigen Kräfte zu sammeln, haben wir davor in
einer nahegelegenen Kneipe etwas getrunken. Was dazu führte, dass sie aufs
Geratewohl aufgebrochen sind und sich lachend Anekdoten von Thil
Eulenspiegel erzählten, unter dessen Flagge man segelte. Thil Eulenspiegel
widersetzte sich zu seiner Zeit auf unverschämte Weise den Behörden während
er feierte. Das ist auch unsere Geistesverfassung.

Wo waren Sie während des "Anschlags"?

Ich war in einer nahegelegenen Strasse. Es hätte eine Katastrophe gegeben,
wäre ich selbst dort gewesen. Man kennt mich einfach zu gut, selbst mit
einer Verkleidung. Zuzusehen was sich abspielte war sehr lustig. Ich hatte
nicht allzu grosse Gewissensbisse, die andern aufs Geratewohl gehen zu
lassen, nachdem was sich zuvor abgespielt hatte.

Wie viele Torten hatte das Kommando dabei?

Es waren 25, wovon vier mitten ins Schwarze trafen. Diese wurden aber nicht
geworfen, wie man mir versicherte. Eines unserer Erfolgsgeheimnisse ist
nämlich, die Torten nie zu werfen. Ich selbst bin ja auch sehr unsportlich.
Man muss die Torten direkt in das Gesicht des Opfers drücken.

Denjenigen denen es gelungen ist, Bill Gates zu bewerfen, haben sie
erzählt, was sie in diesem Moment gefühlt haben?

Einen unglaublichen Rausch der Gefühle! All die Jahre hat man sich gesagt,
dass das nie klappt. Und dann, zack! Seit einigen Jahren liegt unsere
Trefferquote bei 95%. Aber jedes Mal hat man auch Angst, und jedes Mal ist
es danach dann das Hochgefühl.

Wie hat sich Bill Gates in jenem Moment verhalten?

Er versuchte sich in einem Öffentlichkeitslächeln, dann verkrampfte er sich
aber in einer Art zerknirschten  Grinsens.

Im Moment wo man eine Persönlichkeit mit einer Torte bewirft, hat man da
ein gewisses Gefühl von Macht? Die Torte könnte auch eine  blanke Waffe sein?

Ja, aber da ist das nicht mehr unser Problem. Wir sind Terroristen, aber
nur burleske Terroristen. Die Patisserie-Guerilla ist gewalttätig, aber nur
symbolisch. Das Opfer wird nicht verletzt, ausser in seiner Eigenliebe. Wir
achten stark darauf, dass die Torten niemandem weh tun können. Mit weichen
Tortenunterlagen und reichlich Schlagsahne ist es unmöglich jemandem weh zu
tun. Wenn es Marie-France Botte weh tat, war das nicht unseretwegen. Wir
achten absolut darauf, dass das Opfer beim Aufprall keinen Schmerz verspürt.

Stellt ihr die Torten selber her?

Nein, wir sind sehr faul, so dass wir sie nie selbst herstellen. Wir
versorgen uns in der nächstbesten Patisserie beim Tatort. In diesem Fall
wollten wir aber kein Aufsehen erregen mit einem grossen Patissier wie
Nihoul oder Witamer. Wir haben einen kleinen handwerklichen Patissier im
Chaussée de Haecht gewählt. Ein gutmütiger, alter Kerl, total liebenswert,
im Au Petit Pain Frais.

Weiss er was aus seinen Torten geworden ist?

Ganz und gar. Er bekommt laufend Besuche von Fernsehteams von überall her
und gibt darüber Auskunft. Das ganze macht ihm einen Riesenspass.

Habt ihr erwartet, dass Bill Gates keine Klage einreicht?

Das wäre eine Katastrophe für sein Ansehen. Er könnte nicht.

Rechtlich gesehen geht ihr da kein Risiko ein?

Nachdem was ich in der Presse gelesen habe, würde es sich um sogenannte
"leichte Gewalt" handeln, was nur zu einer Geldstrafe führen kann.
Andererseits gab es den Prozess in Frankreich nach dem Tortenanschlag auf
den Kulturminister Philippe Douste-Blazy, der selbst nicht geklagt hatte,
aber die französische Regierung. Der Tortenschmeisser war Jan Bucquoy und
der Verteidiger hat dem Gericht erklärt, dass es sich hierbei um eine alte
belgische Tradition handle. Also gut, sagten sie, Freispruch. Es gab noch
eine Berufung der wiederum ein Freispruch folgte. Laut Gerichtsurteil darf
man also ungestraft französische Minister mit Torten bewerfen. In Belgien
sind solche Klagen immer im Sand verlaufen.
 

Ist euer Ziel ein Maximum an Publicity rund um die Tortenbewerfungen?

Ganz genau. Zu allererst wollen wir den Leuten nahelegen, selbst
Autoritäten mit Torten zu beglücken, so dass sich dies über die ganze Welt
verbreitet und zu wahren Wogen von Tortenattentaten führt. So dass wir uns
etwas zur Ruhe setzen können, denn noch höher hinaus wäre für uns etwas
schwierig und wir wollen, dass dies fortgesetzt wird. Das einfach d'rauflos
"getortet" wird.

Nehmen wir an, Bill Gates kommt in zwei Jahren wieder nach Belgien und
jemand von Netscape zum Beispiel bietet Euch Geld es nochmals zu tun...

Nein, wir sind nie Torten-Söldner gewesen. Man hat uns mehrmals Geld
geboten. In Cannes unter anderem, für Catherine Deneuve und auch Sharon
Stone. Ich mag Catherine Deneuve, ich liebe das Kino von Jacques Demy und
der einzige Film dieses Jahr in Cannes, den ich wirklich mochte, war der
Western von Sam Raimi, in dem Sharon Stone spielt, also hab' ich wirklich
nichts gegen sie. Wir sind Torten-Piraten über alles und nicht Seeräuber,
die für die Staatsräson arbeiten. Es ist häufig vorgekommen, dass man uns
für Kohle anheuern will. Jean-Eden hat mich eines Tages angerufen und mir
vorgeschlagen gegen bares in den Prozess, der die Directrice littéraire du
Monde gegen ihn führte, einzugreifen. Natürlich haben wir ihn in die Wüste
geschickt, wie wir es mit jedem tun, der uns solche Angebote macht. Das
heisst, wir sind nie dafür bezahlt worden, obwohl wir dies nicht verachten
würden. Wir sind keine puritanische, moralische Linksextreme. Tatsache ist,
dass wir für den Anschlag auf Patrick Bruel Geld bekommen haben. Das haben
wir dann aber unserer Lieblingszeitschrift aus Paris, dem anarchistischen
"Mordicus" gespendet.

Könnten nicht eure Fotografen, die jeweils am Ort des Geschehen sind,
einige Bilder verkaufen?

Dummerweise waren da keine Fotografen von uns dabei. Wir kennen schon
einige, die da waren. Einem Freund, der eigentlich nicht auf dem laufenden
war, ist es gelungen das Geschehen zu filmen. Wir nehmen an, dass er uns
ein kleines Geschenk machen wird, so dass wir für weitere Taten eine
Kriegskasse einrichten können.
 

Die Torten-Attacken ziehen ja auch die Aufmerksamkeit auf Personen aus
eurem Lager. Leute wie Jan Bucquoy, Rémy Belavaux...

Ja sicherlich, aber wie im Fall mit meinen Büchern zum Beispiel, bringt das
sehr, sehr wenig Geld. Aber ich würde es absolut drollig finden einen
Haufen Geld zu verdienen und gut zu leben, indem man Torten in ungefällige
Gesichter schmeisst. Das ist ein grosses Spiel, das uns Spass macht. Und
wenn das ein wenig Werbung für zukünftige Sachen bringt, wieso nicht? Mein
Hauptprojekt für die Zukunft wird sein, dass ich im nächsten Rémy Belvaux
an der Seite von Benoît Poelvoorde mitspiele. Wenn der Film auf das
Attentat auf Bill zurückgreift, warum nicht? Aber das war nicht
beabsichtigt. Wir leben in einem Höllenrhythmus, lachend und unser Ziel ist
es, das Leben, wie es Oskar Wild formulierte, zum Eigenen , zu einer Art
zauberhaftem Kunstwerk zu machen. Ich glaube nur an das. Alles um uns ist
mies, versuchen wir also möglichst viel Spass zu haben, im Schwachsinn, im
zügellosen Abenteuer, mit spassigen Schallplatten...
Anfangs April werde ich einen Krimi herausgeben. Schlecht bezahlt zwar,
aber vielleicht kann ich damit die ganze Sache etwas unterstützen. La
Fleuve Noir lanciert einen neuen Charakter, einen neuen Fantômas, der sich
Alias nennt. Jedes Buch wird aus der Feder eines anderen Autors stammen und
meines wird den Namen Armons-Nous les Uns les Autres tragen.

Wenn Bill Gates nächstes Jahr wiederkommt, werdet ihr das Unterfangen
wieder aufgreifen?

 Wir werden sehen. Unterdessen erklären wir allen Staatschefs den Krieg.
Tony Blair ebenso wie Bill Clinton, dem Papst mehr denn je. Man hat uns
immer gesagt, Bill Gates sei unmöglich, bis wir den praktischen Beweis
angetreten haben. Ebenso wird uns immer gesagt, der Papst sei nicht zu
machen, angesichts des aussergewöhnlichen Sicherheitsdispositifs. In
Wirklichkeit könnte man. Mit dem Mittel der Überraschung  zum Beispiel. Der
Papst begegnet nicht nur hohen Beamten der Kirche, sondern auch hunderten
von Gebrechlichen, die Monate zuvor sorgfältig ausgesucht werden. Am Ort
des Geschehen würden wir dann die Liste mit diesen Invaliden zerpflücken
und am Tag X am Haus eines möglichen Gebrechlichen andocken und ihn
liebevoll in Verwahrung nehmen. Ein Doppelgänger würde ihn also im letzten
Moment ersetzten und den Papst mitten in der grossen, fernsehübertragenen
Messe eintorten. Also, es wäre möglich. Wir denken der Papst ist mit seinen
anti-pariser Dekreten ein gefährlicher Massenmörder.
Vielleicht wird uns das Tortenattentat auf Bill Gates die nötigen  Mittel
verschaffen um andere Herrscher der Welt zu knacken. Auf unserer schwarzen
Liste ist seit einiger Zeit Demi Moore. Ich fand den Film G.I. Joe, den sie
mit Ridley Scott gemacht hat absolut widerlich, quasi nazimässig. Auch auf
der Liste sind Tom Cruise und John Travolta, die ich beide mag, aber der
eine wie der andere ist auf einem Scientologen-Trip und das ist Grund genug
uns diesem Verein zu widmen. Auch Bill Graham und die anderen hysterischen
Priester sind auf der Schwarzen Liste.
 
 
 

 

 

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