MEDIALE GEISTERFAHRER - GEGEN DEN GUTBÜRGERLICHEN MAINSTREAM

Kabelfernsehen, Datenhighways, Cyberspace. Was in sinnensch6auml;rferen Zeiten einmal Bewußtseinsindustrie genannt wurde, expandiert derzeit nach allen Seiten. Die von Bertolt Brecht noch als akustisches Warenhaus gegeißelte Medienlandschaft mutiert in postmodernen Zeiten zum multimedialen Erlebnispark - verführerisch und abstoßend zugleich. Doch aller linker Lethargie zum Trotz werden da und dort wieder einmal Pläne geschmiedet, wie der verkabelt betäubten Gesellschaft der Stachel der Subversion ins Fleisch zu treiben sei. Um die von der Landesregierung generös bereitgestellte Frequenz für ein nicht-kommerzielles Radio im Raum Tübingen/Reutlingen bewirbt sich unter anderem die "Wüste Welle", ein Zusammenschluß eher im alternativen Milieu angesiedelter Personen und Gruppen, die sich der uralten Idee verpflichtet fühlen, mit authentischer Information von unten gegen den Mainstream zu schwimmen. In eine ganz andere Richtung zielen die Überlegungen eines als "autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe" firmierenden Teams aus dem Mittleren Neckarraum, die sich - inspiriert von den Situationisten der fünfziger Jahre - einen listig-subversiven Gebrauch des herkömmlichen Mediengeflechts erträumen. Wir dokumentieren die Standpunkte, nicht ohne für die dritte, fatalistische Position das Wort an Günter Anders zu übergeben: "Ob wir mitspielen oder nicht - wir spielen mit, weil uns mitgespielt wird." 

Wie hoch ist der Prozentsatz an Asylbewerbern in Deutschland? Sie tippen 0,8 Prozent? Ganz recht. Mancher Münchner Abiturient könnte sich von Ihnen eine Scheibe abschneiden. Bei einer Umfrage unter diesen waren nämlich Vermutungen von zehn Prozent und mehr eher die Regel als die Ausnahme. 

Das Beispiel stammt aus einem gerade erschienen Buch der in hiesigen Braintrusts geschulten "autonomen a.f.r.i.k.a.-gruppe" und soll vor allem eins verdeutlichen: wie die bundesrepublikanischen Medien mit Bildern wie "Asylantenflut" eine virtuelle Realität erzeugen, die mit der Wirklichkeit, jenen kümmerlichen acht Promille also, nicht das geringste zu tun hat. 

"Medienrandale" heißt das Buch und schlachtet bereits mit diesem Titel einen uralten Mythos: daß nämlich Randale ein Vorrecht des Pöbels sei, den es manchmal in Fußballstadien, zumeist aber ganz rechts- oder linksaußen auf dem politischen Spielfeld umtreibt. In Wahrheit ist alles ganz anders. 

Folgt man den kundigen Analysen der autonomen a.f.r.i.k.a.-gruppe, so geht die Gewalt gegen Flüchtlinge und Ausländer nicht nur vom rechten Rand der Gesellschaft, den Skinheads und "Faschos" aus, sondern genauso von ihrer gutbürgerlichen Mitte. Zum Beispiel von jenem "zündelnden Regierungsmob", der scheinheilig Lichterketten lobt und "wir sind das Volk" gelegentlich auf fürs Ausland inszenierten Schaudemos gegen Fremdenhaß frömmeln läßt. Gefällig unterstützt ihn dabei der Medien-Mainstream, für den Eier auf Kohl und Molotow-Cocktails in Flüchtlingsheime ein und dasselbe ist. "JournalistInnen werfen keine Brandsätze", heißt es daher folgerichtig, "sie formulieren sie." 

Allerhöchste Zeit, so das Fazit der Autoren, zum medialen Gegenschlag auszuholen, nicht ohne vorab mit dem "Prinzip Gegenöffentlichkeit" einen zweiten Mythos in die Abstellkammer der Mediengeschichte zu verfrachten. Jenen bis dato allen linken und alternativen Projekten - von der Stadtzeitung bis zum Freien Radio - zugrundeliegenden Wunderglauben, daß der Manipulation von oben die Wahrheit von unten entgegengestellt werden müsse und sich das bessere Argument schon irgendwann von selbst durchsetzen werde. Nach Ansicht der "a.f.r.i.k.a.-gruppe" kommt dies heutzutage einem blinden Anrennen gegen übermächtige Gegner gleich. 

Die Alternative heißt "Kommunikationsguerilla". Dieses Konzept - nicht Zauberformel, sondern Rohentwurf - fußt auf der Einsicht, daß via Radio oder Fernsehen verbreitete Nachrichten beim Konsumenten durchaus nicht immer so ankommen, wie vom Absender gewünscht. 

Ziel der Guerrilleros ist also nicht, die besseren Botschaften in die Köpfe der "Unterdrückten" zu prügeln, sondern mit "listigen Verfremdungen" und "böswilligen Übertreibungen" den Informations-Mainstream so zu beeinflussen, daß die Absicht der Manipulatoren ins Gegenteil verkehrt wird. Nicht die Schaltstellen der Medienzentralen zu besetzen, sondern - nach einem Satz Umberto Ecos - die Plätze vor der ersten (Fernseh-)Reihe. Als "Geisterfahrer auf der medialen Einbahnstraße" produktive Verwirrung zu stiften, die "den Konsens brüchiger und damit die herrschenden Verhältnisse überwindbarer macht." Subversion im Wortsinne also. 

Gemäß der Erkenntnis, daß die Linke erst dann wiederkehren wird, wenn sie begreift, warum sie verschwunden ist, kommt auch harsche Selbstkritik nicht zu kurz. Etwa an der "militanten Folklore" und den in ewiger Wiederkehr sich abspulenden Ritualen der autonomen Politszene, die schon "das Werfen eines Pflastersteins für revolutionäre Politik" hält. 

Die Autoren verharren aber auch nicht bei selbstgefälliger Ideologiekritik, jenem Lieblingsspiel der Linken in machtlosen Zeiten, sondern versuchen kühl und kühn zu benennen, wo die eigene politische Praxis in der Vergangenheit jämmerlich versagt hat und was künftig besser zu machen sei. Der Einfalt im Denken - vorrangiges Kennzeichen autonomer Politik in den 80er Jahren - stellen sie etwas rar gewordenes entgegen: mit Vernunft gepaarte Utopie. 

Auch wenn "Medienrandale" mehr Fragen stellt als Antworten parat hält, ist sie als Anlaß zum Weiterdenken mindestens so wertvoll, wie Tick, Trick und Tracks schlaues Buch die Pleiten der Panzerknacker zu verantworten hat. Aber nur für jene, die die Welt verändern wollen. 

Autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe/mittlerer neckar (Hrsg): Medienrandale. Die Macht der Medien - Ohnmacht der Linken? Grafenau: Trotzdem-Verlag 1994. 

Claus Peter Eichele

 (Rubrik: Szene putzen im Schwäbischen Tagblatt Tübingen, 23.9. 1994)

 
 
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