Franziska Roller/Klaus Schönberger/Michael Zaiser

Gewalt, Lügen & Videotapes

Während die Aufrüstung und Militarisierung bundesdeutschen Politik weiter vorangetrieben wird, häufen sich die Forderungen nach einer Abrüstung auf den Bildschirmen

Das Bundesverfassungsgericht entschied am 12. Juli, daß militärische, sprich gewaltsame Kampfeinsätze der Bundeswehr (grund)gesetzlich legal sein sollen. Diese Hinwendung zu gewalttätigen Methoden der Politik ist keine Einzelerscheinung. An den Staatsgrenzen verhindert der Bundesgrenzschutz mit Gewalt die Zuwanderung von Menschen mit nichtdeutschem Paß. Sinti und Roma sind von den gewaltsamen Übergriffen besonders betroffen. Die staatlichen Gewalttäter berufen sich auf das Ausländergesetz und das geänderte Grundgesetz. Der Tod eines sechzehnjährigen kurdischen Jugendlichen zeigt ziemlich eindringlich, was in der Bundesrepublik staatliches Gewaltmonopol und finaler Rettungsschuß bedeuten. Es setzt offenbar eine Gewöhnung ein: Offene Gewalt wird wieder zu einem diskutablen Mittel der Politik. Insbesondere Bundesminister zeigen sich anfällig für die Propagierung und den Einsatz von Gewalt. Bundesaußenminister Kinkel will den freien Welthandel und den ungehinderten Zugang zu den Rohstoffressourcen notfalls mit Gewalt sicherstellen. Wie kommt es zu so etwas? Warum um ihres Himmels Willen meinen sie, mit Gewalt ließen sich gesellschaftliche und zwischenstaatliche Konflikte lösen? Haben die zuviel Fernsehen und Videos geguckt? 

Denn wenn wir dem gegenwärtigen PolitikerInnen-Diskurs Glauben schenken, gehören Gewalt & Medien zusammen wie Rock & Roll. ‚Gewalt‘ lautet das Zauberwort, mit dem landauf landab konservative PolitikerInnen, Landeszentralen für politische Bildung, GEW, berufsmäßige Psychodeutebolde und die linksliberalen (oder rot-grünen) Bewußtseinszurichtungsagenturen ein altes Steckenpferd der feuilletonistischen Kulturkritik wieder zureiten. In kulturpessimistischer bis reaktionärer Abscheu vor der industriellen Massenkultur, insbesondere vor den Massenmedien, verklären sie einvernehmlich den Medienoutput zur hauptsächlichen Ursache von Gewalt. Bildungsbürgerlicher Elitedünkel und Mittelklassehaß auf den ‚Mob‘ lassen in diesem Diskurs ihrem gemeinsamen Ekel vor der ‚Masse‘ freien Lauf. 

 

Im Kampf gegen Gewalt in den Medien bildet eine illustre PolitikerInnenschar die Vorhut. Der bayrische Ministerpräsident Stoiber (CSU) beschwört "die Gefahr einer Zerreißprobe" für die Gesellschaft, "wenn über bestimmte Massenmedien ständig die Lösung von Konflikten mit Fäusten, Messern und Revolvern propagiert wird." Bundesinnenminister Kanther (CDU) "hat gefordert, die Gewaltdarstellung im Fernsehen und auf Videos ‚drastisch‘ einzuschränken, sonst sei langfristig eine ‚Verrohung der Gesellschaft‘ zu befürchten …". 

Was und vor allem wer hier mit ‚Verrohung‘ gemeint ist, machen andere deutlich. So die jugendpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Hanna Wolf: ,,Ich bin dafür, den Jugendschutz durch Indizierung von Filmen auszudehnen."' Es sei wissenschaftlich belegt, daß es einen Zusammenhang zwischen Jugendgewalt und Gewalt in den Medien gebe. Deswegen müsse man auch ,,stärkere Kontrollen einführen, um zu verhindern, daß verbotene Filme unter dem Ladentisch gehandelt werden".

Die Behauptung, daß die Medien für die ‚Verrohung‘ der Jugend verantwortlich sind, ist inzwischen Konsens. Selbst der hinterletzte Sozialarbeiter weiß diesen Allgemeinplatz nutzbringend in seine Argumentationen einzubauen. Nicht nur bei Veranstaltungen des CDU-Frauenverbandes über die angebliche Zunahme von Gewalt stehen landauf landab die Medien bei den behaupteten Gründen an erster Stelle: "Als Ursachen für die zunehmende Brutalität nannten die Experten unter anderem gewaltverherrlichende Videos sowie Film im Fernsehen. ‚Bis zum 18. Lebensjahr haben Jugendliche etwa 20 000 Morde auf dem Bildschirm gesehen‘."

Mit von der Partie sind auch die wöchentlichen ‚News‘-Magazine. Der sonst keinem noch so bluttriefenden Photo abgeneigte ‚Stern‘ (51/1993) titelt in der friedensheischenden Weihnachtszeit "Gewalt auf dem Bildschirm – Ein Mordsvergnügen." Reißerisch heißt es: "Videospiele, in denen geschlagen, getreten, getötet wird, stehen auf den Wunschzetteln vieler Kinder ganz oben. Und zahlreiche Jugendliche finden Gefallen an scheußlichen Horror-Videos. Wieviel Brutalität halten junge Leute aus, ohne selbst zu verrohen." Auch der ‚Spiegel‘ (42/1993) schildert vorzugsweise Kinder und Jugendliche als hilflose Opfer von Gewalt in den Medien: "Gleich morgens in der Gruppe müsssen viele Kinder ihre Begegnungen mit Video- und Fernsehhelden nachspielen, um das Gesehene überhaupt verkraften zu können. Gegenseitig schlagen sie sich den Kopf auf den Boden oder an die Wand. Nicht selten tritt der Stärkere auch dann noch einmal kräftig zu, wenn der andere zu Boden geht oder aus der Nase blutet". Focus (26/1994) illustriert seinen Aufmacher ("Kanal Brutal") gleich mit dutzenden von Photos aus den inkriminierten Fernsehgenres ("Krieg – Horror – Mord – Sex") und spielt sich zum Anwalt einer behaupteten Mehrzahl von TV-Konsumenten auf: "Der Bildschirm quillt über vor Gewalt … Die Bedrohung treibe vor allem junge Fernsehzuschauer in einen Strudel von Ängsten und Aggressionen."

 

Ende 1993 eskalierte der mediale Diskurs über Mediengewalt anläßlich der Tötung des zweijährigen James Bulgar in Liverpool durch zwei elfjährige Jungen. In seinem Urteilsspruch äußerte der Richter die Vermutung, daß der Streifen ‚Chucky 3‘ das Vorbild für die Tat abgegeben habe. Nun wußten es von ‚Spiegel-TV‘ bis FAZ (26.11. 1993) auf einmal alle ganz genau. Laut ‚Spiegel-TV‘ (28.11. 1993) hatten die beiden Täter "nach einem Drehbuch gehandelt". Noch in seinem Jahresrückblick behauptet der ‚Spiegel‘: "Das Video ‚Child‘ s Play 3‘ verwirrte die zehnjährigen Robert Thompson und Jon Venables aus Liverpool so, daß sie den zweijährigen James Bulgar umbrachten." Doch laut dem ermittelnden Polizeibeamten "gab es nichts – keinen Plot, keinen Dialog – worauf man zeigen und wovon man sagen könnte: das hat den Jungen beeinflußt" (Süddeutsche Zeitung, 27.11. 1993). Der angebliche Inhalt des Films wurde gemäß dem Tatverlauf zurechtgebogen. Es ist offensichtlich, daß der Diskurs hier nicht den Tatsachen folgt, sondern einem bestimmten Schema der Konstruktion von Ursache und Wirkung. 

Dieses Muster ist nicht neu. Die von den Medien verführten Mörderkinder erweisen sich als feststehender Topos in der Geschichte kulturpessimistischer Medienkritik. Bereits in einem 1912 in Tübingen gehaltenen Vortrag ("Der Kinematograph vom medizinischen und psychologischen Standpunkt") weiß der Universitätsprofessor Robert Gaupp über die schädlichen Auswirkungen von Kinokonsum zu berichten: "Ein ganz grotesker Fall wird aus New York berichtet: Dort hatten drei italienische Knaben im Kino eine Szene gesehen, bei der ein Missionar von Kannibalen gebraten und verspeist wurde. Sie beschlossen, sich dasselbe Vergnügen zu machen. Ein kleiner Junge wurde niedergeschlagen, bewußtslos auf einen präparierten Scheiterhaufen gelegt; die Brandwunden erweckten ihn wieder zum Leben; auf sein Jammern und Schreien eilten glücklicherweise einige Erwachsene herbei, die den Knaben vor dem Tode retten konnten; doch blieb er infolge der schweren Brandwunden ein Krüppel." 

Der Kampf gegen mediale ‚Schund‘- und Gewaltdarstellungen erlangte seine Bedeutung spätestens, als deren Massenkonsum durch die Industrialisierung möglich wurde. Massenmedien wurden bereits mit ihrem Aufkommen im Kaiserreich für alles Unbill dieser Welt verantwortlich gemacht.

Hintergrund der Argumentation war und ist fast immer die Annahme eines Nachahmungseffekts oder die Behauptung, daß ständige Gewaltdarstellung einen emotionalen und mentalen Abstumpfungsprozeß zur Folge habe. Die Vorstellung, daß ein Verhalten nur deshalb nachgeahmt werde, weil es gezeigt wird, findet sich bereits bei Platon (‚Politea‘). Doch nur weil eine These alt ist, wird sie nicht richtiger. Die Tatsache, daß im Diskurs über Mediengewalt nach wie vor die Vorstellung eines Nachahmungseffektes dominiert, ist um so erstaunlicher, als dessen Kritik inzwischen zu den medienwissenschaftlichen Standards gehört. Demnach wirken moderne Medien weitaus komplexer als es das mechanische Modell der Nachahmung unterstellt. Sowohl die Vorstellung eines Nachahmungseffekts als auch die inzwischen gängige Abstumpfungsthese behaupten in generalisierender Weise bestimmte Medienwirkungen und verschwenden keinen Gedanken an die unterschiedlichen sozialen und individuellen Situationen, in welchen Medien konsumiert werden.

Auch wenn diese Erklärungen offensichtlich unzureichend sind, halten sie sich dennoch hartnäckig, und das nicht zuletzt deswegen, weil sie eine wichtige Entlastungsfunktion erfüllen. Denn beide Konzepte unterstellen, daß Gewalt in bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften ein Sonderfall bzw. eigentlich ein Unfall sei. Wenn Menschen Gewalt anwenden, müssen sie in dieser Vorstellungswelt von Instanzen wie den Medien dazu ange- oder verleitet worden sein. Der strukturell gewaltförmige Charakter dieser Gesellschaft und ihrer Dominanzkultur wird im Gewalt-Diskurs ignoriert. Denn die naheliegendste Überlegung, daß nämlich die Bereitschaft Gewalt auszuüben in erster Linie eine Entsprechung der gesellschaftlichen Grundstrukturen ist, daß sie aus der zugespitzten Ellenbogenmentalität der Dominanzkultur resultiert, würde die gegenwärtig verbreitete Erfolgsstory des universellen Kapitalismus erheblich in Zweifel ziehen. 

Wohin dieses Argumentationsmuster führt, hat CDU-Familienministerin Angela Merkel anschaulich vorgeführt, als ihr 1992 nach dem rassistischen Pogrom in Rostock nichts besseres einfiel, als die Gewaltdarstellungen der Medien als Begründung heranzuziehen. 

Diese Sorte Medienkritik beschränkt sich als Teil des hegemonialen Diskurses darauf, symbolische Repräsentationen zu Ursachen für Gewalt zu erklären und auf dieselben einzuprügeln. In dieses Bild gehört auch, daß die angeblich der Mediengewalt schutzlos ausgelieferten TV- bzw. VideokonsumentInnen hauptsächlich bei Jugendlichen und Unterprivilegierten und keineswegs bei den Eliten oder den aufstrebenden Mittelklassen im Zentrum der Gesellschaft verortet werden. Im Diskurs über Mediengewalt geraten also gerade jene Bereiche aus dem Blickfeld, in denen sich die (nicht nur strukturelle) Gewalt aus dem Zentrum der Gesellschaft äußert. Beispielsweise die neue Konjunktur von Nation und völkischem Nationalstolz in den Reden von Mainstream-PolitikerInnen, deren Zusammenhang mit der (gleich ob individuellen oder staatlichen) Gewalt der vergangenen Jahre offensichtlich ist.

Während die CDU-Regierung die sowohl innen- als auch außenpolitische Aufrüstung vehement vorantreibt, fordert Angela Merkel: "Wir brauchen eine ernsthafte Abrüstung auf den Bildschirmen". Auf dem Titelblatt des bereits zitierten "modernen Nachrichtenmagazins" und CDU-Organs ‚Focus‘ (26/1994) wird gefragt: "Wer stoppt die Gewalt im Fernsehen?" Gleich darunter freut sich die Redaktion auf das zu erwartende Blauhelm-Urteil: "Deutsche dürfen im Ausland kämpfen".

Sowohl die Möglichkeiten des staatlichen Gewalthandelns als auch dessen tatsächliches Ausmaß weiten sich zunehmend aus. Gleichzeitig findet eine Verlagerung sämtlicher Diskussionen über Gewalt auf eine Ebene statt, auf welcher diese sich als Problem der medialen Repräsentation auffassen läßt. So wird der Begriff der Gewalt von staatlichem Handeln abgetrennt und über die Medienschelte entsorgt.

 

Vor den hier problematisierten Einschätzungen medialer Darstellungen sind auch Linke nicht gefeit, wie die Reaktionen auf den Dokumentarfilm ‚Beruf Neonazi‘ zeigen. Einige Monate nach Erscheinen des Films brach ein Sturm der Empörung los, der von linksradikal bis konservativ-liberal alle Lager erfaßte. Die KritikerInnen monierten, daß der Neonazi Althans unkommentiert zu Wort kam, dem Regisseur wurde mangelnde Distanz vorgeworfen und der Kameraführung wurden Prädikate von überhöhend über erotisch bis hin zu ‚Leni-Riefenstahlig‘ zugeschrieben. Linksradikale Kommandos (‚Filmriß‘) versuchten die Kinoaufführungen zu verhindern, womit sie sich in bestem Einvernehmen mit Teilen der Justiz befanden. In Hessen gelang es der Staatsanwaltschaft sogar, die Vorführung des Films einige Tage zu verbieten.

Man braucht den Film nicht gut zu finden, um bei dieser Einhelligkeit stutzig zu werden. Der Grund für die seltsam anmutende Allianz zwischen Autonomen und Jurisprudenz erklärt sich unseres Erachtens daraus, daß die Linke (ganz allgemein) angesichts eines so kompakten und leicht greifbaren Feindbilds in Form eines in seiner Qualität auch noch fragwürdigen Films in hektischen Aktionismus verfällt, um sich ihre sonstige Hilflosigkeit im politischen Vorgehen gegen den Rechtsruck nicht eingestehen zu müssen. Und von der PolitikerInnenseite bietet ein Filmverbot die wohlfeile Gelegenheit, Aktivität gegen Nazis zu demonstrieren, ohne tatsächlich gegen die von ihnen geschürten rassistischen und nationalistischen Ressentiments vorgehen zu müssen. 

Nun gilt es natürlich zu bedenken, daß ein solcher Film unter Umständen dazu beiträgt, implizit die Diskussion über die ‚Auschwitzlüge‘ wieder salonfähig zu machen (einfach dadurch, daß sie ein weiteres Mal medial gestreut wird und damit als eine potentiell zulässige bzw. diskussionsfähige Denkweise erscheint) und daß es darum ein aufklärerisches Anliegen sein muß, dies zu verhindern. Es stellt sich aber die Frage, ob in diesem Fall durch den bundesweiten Medienrummel nicht gerade das Gegenteil erreicht wurde, also das Gewäsch von Althans eine Publizität erlangte, die es aufgrund einiger Passagen in einem drittklassigen Dokumentarfilm allein niemals erhalten hätte.

Es ist paradox, den Film anstelle des Nazis aus dem Verkehr zu ziehen, und hierin zeigt sich schon die ganze Verlogenheit der Diskussion. Diese folgt derselben Logik, mit der in der Mediengewalt-Debatte symbolische Repräsentationen von Gewalt angeprangert werden, um von deren strukturellen Ursachen absehen zu können. Im übrigen sollten Linke ein Interesse daran haben, den Unterschied zwischen realen politischen Ereignissen (z.B. einem Schönhuber bzw. Althans-Auftritt) und medialen Repräsentationen (wie ‚Beruf Neonazi‘ oder ‚Der Stau‘) nicht zu verwischen. Diese Gefahr besteht, wenn Linke einvernehmlich mit den Verantwortlichen für die rassistische und nationalisische Politik in dieser Gesellschaft ein Verbot des Filmes über Althans fordern oder seine Aufführung verhindern. Es geht zum einen darum, die politische Praxis eines Althans anzugreifen, vor allem aber die rassistische und nationalistische Grundstruktur der Gesellschaft praktisch und konsequent zu bekämpfen, die für einen Neonazi wie Althans überhaupt erst Wirkungsmöglichkeiten schafft. Denn wer hauptsächlich gegen die Fiktion angeht, im Glauben, damit die Realität zu verändern, ist dem multimedialen Zeitalter schon auf den Leim gegangen.

 

 

Dieser Artikel basiert auf dem Beitrag ‚Kritik der Medienkritik. Rassismus & Gewalt – Fernsehen & Videotapes‘, im Band: autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe/mittlerer neckar (Hg.): Medienrandale. Rassismus und Antirassismus. Macht der Medien und Ohnmacht der Linken. Grafenau 1994 (Trotzdem Verlag). Dort finden sich auch die entsprechenden Literaturverweise.

 
 
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