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Nichts ist unmöglich (2000)Ein gefälschtes Fax zum CDU-Spendenskandal narrt die Medien
Irgendwo in Deutschland hat einer gerade eine Wette gewonnen. Oder er
lacht sich wenigstens halbtot. Am Sonntag hatte er eine Stunde lang die
deutschen Medien an der Nase herumgeführt und für den Rest des
Tages in helle Aufregung versetzt. 16.20 Uhr meldet die Nachrichtenagentur
AP, dass Helmut Kohl die Namen der Bargeld-Spender für die CDU nennen
will. 17.21 Uhr
In den Redaktionsstuben wurden an diesem Tag Artikel und Kommentare so oft und so schnell umgeschrieben wie selten zuvor. Leitartikler, die gerade noch die Kohlsche Verweigerungshaltung gegeißelt hatten, begrüßten umgehend seinen Aussagewillen, nur um kurz darauf die alte Fassung wiederherzustellen. Das war eine bizarre Situation, die auch ein wenig die Atmosphäre kennzeichnet, in der die Aufklärung des CDU-Spendenskandals derzeit stattfindet: Nichts ist unmöglich, weder dass Kohl für immer schweigt noch dass er plötzlich spricht. Erst recht nicht, dass sich ein Aussenstehender - wenn es denn ein Aussenstehender war - darüber lustig macht. Den ernsten Hintergrund des Fax-Falles sprach am Sonntagabend
der
Die Agentur AFP gehörte nicht zu den direkten Adressaten des Faxes. Weil aber die Konkurrenten mit der Meldung auf Sendung waren, habe man sich das Papier besorgt, erzählt Geschäftsführer Norbert C. Wortmann. "Dann haben wir versucht, das zu erhärten." Weil aber weder Partei- und Fraktionssprecher der Union etwas davon wussten, habe man "starke Zweifel" bekommen und die Meldung nicht gebracht - als einzige Agentur. AFP rief bei Kohls Sprecher Michael Roik in Bonn an. Der war beim Sonntagsspaziergang und fand erst nach der Rückkehr auf seinem Anrufbeantworter die Bitte um Rückruf. Roik vergewisserte sich bei Helmut Kohl und dementierte dann umgehend. AFP meldete als erste Agentur: "Falsch und frei erfunden". Am Tag darauf gesteht die DPA den Fehler sofort ein. Schließlich geht es um ihre Glaubwürdigkeit - das wichtigste Gut einer Nachrichtenagentur. "Wir haben einen Fehler gemacht. Das misstrauische Überprüfen von Informationen ist eine Regel des journalitischen Handwerks", erklärt Chefredakteur Wilm Herlyn. Allerdings sei die Fälschung perfekt gemacht, "ausgeklügelt platziert und in der Diktion bekannter Pressemitteilungen des Kohl-Sprechers" verfasst. Das ist richtig. Es gibt gewisse Ähnlichkeiten beispielsweise
mit Kohls
Die CDU-Fraktion im Bonner Rathaus hat jetzt Anzeige gegen Unbekannt
erstattet. Die gefälschte Erklärung war mit der Fax-Kennung der
Fraktion verbreitet worden, auch das ist eine Fälschung. Solche Manipulationen
kann man aber von jedem Faxgerät aus vornehmen. Deshalb wird es nahezu
unmöglich sein, den Urheber zu finden, falls er sich nicht selber
offenbart. Die Satirezeitschrift Titanic, für schlechte Scherze bekannt,
war es jedenfalls nicht. "Wir möchten unseren sauberen Namen da raushalten",
heißt es aus der Redaktion.
CDU-FRAKTION
Das gefälschte Fax an die Agenturen trug in der Kopfzeile die Fax-Kennung "CDU-Frakt" und als Absendernummer die Faxnummer der CDU-Fraktion im Bonner Rathaus +228770847. Die Fraktion hat dementiert, dass das Fax von ihrem Gerät gesendet worden ist. Bei der Überprüfung der Telefonanlage und des Faxprotokolls sei festgestellt worden, dass am Sonntag überhaupt kein Fax herausgegangen war. Auch laute die Fax-Kennung üblicherweise "CDU-Ratsfraktion Bonn". Die Fraktion hat jetzt Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Berliner Zeitung, 25. Januar 2000
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