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KPD/RZ: In Einbahnstraßen wird immer noch geraucht (FR, 8.10.1999)Die Kreuzberger Patriotischen Demokraten haben Ärger mit den Friedrichshainer Amorphen ZentralistenVon Ute FringsWahrheiten verwirren. Umso mehr, wenn sie im Wahlkampf geäußert werden. Was die Wahrheit angeht, sind die Kreuzberger Patriotischen Demokraten/Realistisches Zentrum (KPD/RZ) eine fundamentalistische Partei. Wähler und Wählerinnen aufgemerkt: "Was die KPD/RZ verspricht, sind leere Versprechungen", lautet ein Satz aus dem Grundsatzprogramm. Womit sich die Splitterpartei im Kern nur wenig von den Volksparteien unterscheidet, mit denen sie ansonsten so viel verbindet wie Eisbären mit Wüstenhühnern. Als "Partei der extremen Mitte" definiert sich die KPD/RZ "extrem liberal, extrem tolerant, extrem korrupt und radikal gegen jeden Extremismus". Für diese wahrhaft fundamentalen Grundsätze haben 4,7 Prozent der Kreuzberger Wahlberechtigten bei der Abgeordnetenhauswahl vor vier Jahren votiert; KPD/RZ-Listenobmann Norbert Hähnel verfehlte damals den Einzug ins Bezirksparlament. Am Sonntag wird in Berlin wieder gewählt. Und wer weiß, vielleicht gelingt es dem in den 80er Jahren als "wahrer Heino" auch außerhalb Kreuzbergs populären Parodisten Hähnel ja dieses Mal, einen Sitz im Preußischen Landtag zu gewinnen. Die Chancen stehen denkbar schlecht, sie zu nutzen, ist gleichwohl oberste patriotische Pflicht. Inzwischen hat in der traditionellen Grünenhochburg Kreuzberg nicht nur die PDS an Boden gewonnen, sondern mit der Demokratischen Linken stellt sich außerdem eine Abspaltung der Bündnisgrünen zur Wahl; tatsächlich wird um die Stimmen der Kreuzberger Szene hart gekämpft. Vor diesem Hintergrund ist das wahrscheinliche Scheitern der FDP, "unser natürlicher Bündnispartner", für die KPD/ RZ umso schmerzlicher. Wieder einmal scheint sich die alte Parole zu bestätigen: "Wir stehen im Zentrum der Mitte, und da kann man nur alleine stehen." Doch weil erstmalig für den Einzug in die Bezirksverordnetensammlung (BVV) der Sprung über die Drei-Prozent-Hürde genügt, sind die Spaßguerilleros felsenfest überzeugt, den Einzug in die Kreuzberger BVV zu schaffen, und Nanette Fleig, Spitzenkandidatin für die Kommunalwahl, träumt sich schon mal als "Bürgermeisterin der Herzen". "Kreuzberg zuerst." Seit zehn Jahren begleiten die Aktivisten der Heimatpartei vom Tresen ihres Parteilokals "Enzian" aus das politische Weltgeschehen an seinem schönsten und aufregendsten Schauplatz: in Kreuzberg. In dieser Zeit hat sich die Welt verändert, allein die subversive Theorie der spaßigen Polit-Praxis erweist sich gegen jedwede Veränderung resistent. Wie ein ruhiger Punkt im Auge des Orkans. Ob "Nachtflugverbot für Pollen", "Verbot des lästigen Rauchens in Einbahnstraßen" oder "Ausgehverbot für Männer bei Außentemperaturen über 30 Grad". Solange das wahre Leben nicht im richtigen Platz findet, beharren die dienstältesten Protagonisten der bürgerlichen Polit-Travestie in Berlin auf ihren Forderungen. Dabei verlieren sie aktuelle Entwicklungen keineswegs aus dem Blick, etwa die Deindustrialisierung Berlins und der neuen Länder. Die Lösung des Problems ist denkbar einfach: "Umsetzung des Morgenthau-Plans - Zurückführung Deutschlands auf den Status eines Agrarlands". "Politik in den Spaß bringen", das ist ein beinharter Job, und zehn Jahre sind eine lange Zeit, zumal wenn man hilflos zusehen muss, wie sich allmählich die Kräfteverhältnisse gen Osten verschieben. Auf die andere Seite der Spree. Wo für die Kreuzberger Patrioten mit den "Friedrichshainer Amorphen Zentralisten" (FAZ) in den vergangenen Jahren eine ernsthafte Konkurrenz entstanden ist. Was die KPD/RZ-Aktivisten erst jüngst wieder bei der traditionellen "Schlacht an der Oberbaumbrücke" schmerzlich erfuhren. An der Niederlage im Kampf Mann gegen Mann gegen Frau lässt sich nichts deuteln. "Die Friedrichshainer haben uns gut weggeputzt", gibt der stellvertretende KPD/RZ-Vorsitzende Riza Cörtlen unumwunden zu. Der "Propagandaminister" der FAZ, Hauke Stiewe, fasst die diesjährige Gefechtslage so zusammen: "Wir sind mehr und haben mehr Material." Konkret: Styroporknüppel, Wasserbomben, Pudding und fauliges Obst. Schlechte Aussichten für die Kreuzberger, die in zwei Jahren mit den Friedrichshainern fusionieren müssen, was selbstverständlich von beiden Seiten mit allen Mitteln (s. oben) bekämpft wird. Im Dezember offiziell gegründet, ist die FAZ inzwischen nach eigener Einschätzung im östlichen Innenstadtbezirk Friedrichshain eine Massenbewegung. Als "eine Volkspartei" beschreibt Stiewe den Bund der Heimatlosen, die sich hier am Rande des Zentrums in den letzten Jahren niedergelassen haben. Beinahe jeder zweite Friedrichshainer ist ein Zuzügler, in der Mehrzahl Arbeitslose, Studenten, Wenigerverdienende, die aus den Boom-Regionen in Mitte oder Prenzlauer Berg vertrieben wurden. Der Einzug in die BVV sei ihnen gewiss, nimmt der Propagandaminister kühn das Wahlergebnis vorweg, was den Gegner jenseits der Spree anbelangt, könne man sich nach der Fusion eine punktuelle Zusammenarbeit vorstellen. "Angewandter Parlamentarismus", lautet die Devise im Osten, im Westen droht jedem Parteiausschluss, der ernsthaft an Politik denkt. Für das Abgeordnetenhaus kandidieren die östlichen Neulinge im Politzirkus (noch) nicht. Gänzlich ins Abseits geraten sind die Freunde der subversiven Politik von der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschland (APPD). Noch ganz erschöpft vom Bundestagswahlkampf (zentrale Parole: "Arbeit ist Scheiße") hat es die republikweit älteste Formation der Spaßguerilleros gerade einmal geschafft, in den Bezirken Mitte und Treptow für die BVV zu kandidieren. Alles andere haben die Pogo-Tänzer im wahrsten Sinne des Wortes verschlafen. Die hohe Zeit der APPD ist lange vorbei, wie die Punkbewegung, aus deren Reihen heraus Anfang der 80er Jahre die Partei gegründet wurde. "Eine Stimme fürs Gesindel." Für die KPD/RZ sind die einstmals "verwandten Seelen" längst zu "Schrankwandpunkern" verkommen, deren Anhänger reihenweise dem todernsten Spiel mit der Demokratie entsagen und reumütig in die Hörsäle der Betriebswirtschaftslehre zurückkehren. 58 Parteien, Wählergemeinschaften und Einzelkandidaten führt der Landeswahlleiter auf seiner amtlichen Liste, alphabetisch geordnet, an 39. Stelle firmiert die Einzelbewerberin Nadia Rouhani. Parteilos, 36 Jahre alt, Akademikerin, verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Initiatorin der "Agentur für naheliegende Maßnahmen zum Thema Hundehaltung in der Großstadt". Das klingt nach Spaß-Guerillera und ist doch ganz und gar ernst. Bitterernst. Hundehalter im Wahlkreis 4 in Charlottenburg können ein Lied davon singen. Denn eines Tages ist Nadia Rouhani aufgestanden, um endlich etwas gegen den Hundekot zu unternehmen, und schmiss mit vielen Gleichgesinnten Kinderwindeln auf den Rasen. Dreck ist Dreck. Oder etwa nicht? Die Berliner waren alarmiert, Hundebesitzer und Kindererzieher gleichermaßen. Und Frau Rouhani wurde berühmt. Ihr Schrei nach mehr Sauberkeit, Ordnung und Sanktionen traf auf offene Ohren, direkt in die Herzen. Inzwischen kennen vierzig Prozent der 30 031 Wahlberechtigten in Wahlkreis 4 Frau Rouhani, etwa siebentausend Erststimmen genügen ihr für einen Sitz im Landesparlament. Die Chancen stehen gut. Nadia Rouhani ist siegesgewiss. Und stark. Und unabhängig, lesen wir auf den Wahlkampfbroschüren, die sie im Bezirk verteilt. Sie habe dem "Neuen Berlin" ein Gesicht gegeben, jubelt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Das ist ihr offenbar lieber als die jungen und doch so herrlich vertrauten Gesichter in Kreuzberg, Friedrichshain, Mitte und Treptow. Copyright © Frankfurter Rundschau 1999 |
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