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Alle Wege führen nach Rom - Luther Blissett (taz, 7.2. 2000)
Ein Kulturterrorist geht um in Europa. Er betreibt Internetseiten, schreibt
Rocksongs und literaturpreisverdächtige Bestseller
"Q" - so karg der Titel ist, so voluminös ist der historische
Roman, der
sich hinter dem einen Buchstaben verbirgt. Ein 600-Seiten-Opus, das
trotz
seiner Länge nie langweilig wird. "Q" entführt die italienischen
Leser ins
Deutschland der Reformation und der Bauernkriege. Es spannt den Bogen
von
Martin Luther, der erst die Massen entflammte und sie dann an die Fürsten
verriet, über die Ausrottung der Anhänger Thomas Müntzers
und der
Wiedertäufer in Münster, den Geheimpakt der Fugger mit dem
Vatikan, der auf
die Vernichtung der Antwerpener Sekten zielte, und die Intrigen der
römischen Kardinalsseilschaften bis zur Abrechnung der Kirche
mit ihren
jüdischen Gläubigern.
Hauptperson auf allen Schauplätzen ist ein Häretiker ohne
feste Identität.
Dauernder Verfolgung ausgesetzt, ist er immer wieder gezwungen, seinen
Namen zu wechseln. Sein Gegenspieler ist Q, der Verräter, der
Spitzel in
den Diensten des Kardinals Carafa. So schlecht die Mächtigen,
die Fürsten
und Kleriker in dem Roman wegkommen, so harsch ist freilich auch die
Kritik
an den Rebellen und dem tugendhaften Terrorismus der vorgeblichen
Freiheitskämpfer. Und bitter ist der Schluss des Buches: Der namenlose
Häretiker muss sich geschlagen geben. Immerhin, ein kleiner Schimmer
der
Hoffnung bleibt - die Entstehung der Druckkunst. Bücher und fliegende
Blätter werden zu einem neuen Mittel, das den Ideen Flügel
verleiht, das
die häretischen Gedanken im Nu von einem Ort zum anderen trägt,
das in der
Lage ist, mit einem Schlag tausende von Personen zu erreichen.
Unschwer zu erraten, dass der Häretiker ohne Namen das Alter Ego
der
Autoren ist: Autoren ohne Gesicht und Identität, die kein Copyright
für das
Buch reklamieren und mit dem Alias "Luther Blissett" zeichnen. Ein
gewisser
Luther Blissett aus Jamaika schoss übrigens als Mittelstürmer
für den AC
Mailand schöne Tore. Das war im Jahr 1984. Und nun treibt sich
seit 1996
ein Phantom gleichen Namens in mehreren europäischen Ländern
herum.
"Offenbarung des Luther Blissett. Aus dem Italienischen übersetzt
von
Luther Blissett und Luther Blissett", heißt es auf Blissetts
deutscher
Website. Der deutsche L. B. ist Verfasser des "Handbuchs der
Kommunikationsguerilla" (VLA/Schwarze Risse/Rote Straße, Hamburg/Berlin)
wie diverser Rocksongs; doch Namensvettern sind auch aus Spanien, England
und den USA überliefert. Sogar ein Phantombild gibt es im Internet.
Fraglich bleibt allerdings, ob es zur Enttarnung auch nur eines der
dutzenden Blissetts beiträgt.
"Ich bin Luther Blissett. Ich lehne es ab, mich durch jedwelchen Namen
eingrenzen zu lassen. Ich trage alle Namen, ich bin alles. Ich ermuntere
alle Pop-Gruppen, diesen Namen zu gebrauchen. Ich suche Erleuchtung
durch
Konfusion. Ich gedeihe im Chaos. Ich weise den Gedanken des Copyrights
zurück. Nimm, was dir nützlich sein kann. Und zerstöre
die ernste Kultur!"
Nicht umsonst schmückt Blissett sich mit dem Titel "Kulturterrorist",
setzt
Gerüchte in die Medienlandschaft, macht Werbung für inexistente
Religionen
und Pseudowissenschaften und denunziert sich selbst als Drahtzieher
frei
erfundener subversiver Machenschaften. Bekannt wurde er erstmals in
Italien
mit einer Reihe erfolgreicher Radiosendungen, ausgestrahlt 1996 von
einem
Alternativradio in Bologna, die die Hörer in Bewegung brachten,
zum
Beispiel mit der hundertfach befolgten Einladung zu einer
Blissett-Spontanparty im Autobus 62.
Mit großem Echo speiste Blissett auch spektakuläre "Nachrichten"
in den
Medienzirkus. Etwa die Meldung vom malenden Schimpansen, der bei der
Biennale von Venedig zu Gast sei; oder das komplett gefälschte
Video einer
schwarzen Messe inklusive Menschenopfern, das er ebenso in Umlauf brachte
wie das metropolitane Märchen von den Huren, die ihren Kunden
durchlöcherte
Präser andrehen sollten. - Selbstverständlich veröffentlichte
er parallel
dazu Bücher über die Gewalttätigkeit der Medien und
ihre Neigung, unberührt
von Fakten mit Aids und anderen Ängsten Meinung und Kasse zu machen.
Mit dem Roman "Q" hat Blissett jetzt den endgültigen Durchbruch
geschafft.
Veröffentlicht beim renommierten Verlag Einaudi (2001 soll es
in deutscher
Übersetzung bei Piper erscheinen), war es 1999 in der engeren
Auswahl für
den Premio Strega, den angesehensten Literaturpreis Italiens. Zu viel
der
Ehre für das Mediengespenst, das daraufhin seinen Ritual-Suizid
durch
Seppuku ankündigte. Zumindest der italienische Blissett ist damit
Vergangenheit. Doch schon hat er einen Nachfolger. Ein gewisser Wu-Ming
kündigte jetzt einen Roman an - mit den Helden Cary Grant, Lucky
Luciano
und Marschall Tito.
Marina Collaci
taz Nr. 6061 vom 7.2.2000 Seite 14 Kultur 160
Zeilen Kommentar Marina
Collaci
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