KOMMUNIKATIVE MILITANZ

Die RAF brauchte nur 15 Jahre Zeit um einzusehen, daß ihre Politik der Veränderung der Gesellschaft mit Waffengewalt spätestens seit 1977 gescheitert war und reagierte am 10. April 1992 mit einer einseitigen Gewaltverzichtserklärung. Von den selbsternannten ,Autonomen" im ,Schwarzen Block" konnte man indes erwarten, daß dieser Denkprozeß noch mindestens 15 weitere Jahre auf sich warten ließe - Randale bei Demos, Straßenschlachten mit der Polizei als Mittel der Politik bis in alle Ewigkeit (1)
Doch - Wunder geschehen immer wieder und Vorurteile sind des öfteren falsch - im Jahre 1994 erschien im Trotzdem Verlag ein Buch (2) der "autonomen a.f.r.i.k.a.-gruppe", das schonungslos mit dem Mythos der Militanz aufräumt: 
,Große Teile der autonomen Linken beziehen sich nach wie vor auf einen Militanzbegriff, der eng an personale Gewalt geknüpft ist, an die Bereitschaft, körperlich mit dem staatlichen Gewaltmonopol aneinander zu geraten. Mit der gegenwärtigen Krise des Konzepts Gegenmacht wird ein solcher Militanzbegriff (außer im Hinblick auf die Notwendigkeit, sich und andere vor Naziangriffen zu schützen) zunehmend problematisch. Vor allem aber verstellt er den Blick auf andere und zukünftig vermutlich wichtigere Dimensionen militanten politischen Handelns." (S. 145) 
Im Mittelpunkt der Analyse stehen die ,offensichtliche Übermacht der 'Bewußtseinsindustrie'" und die Legitimationsprobleme einer, den bestehenden Machtverhältnissen antagonistischen, Gegenmacht. War in den Jahren vor 1989 ,das Einklagen der uneingelösten und uneinlösbaren Versprechungen der bürgerlichen Ideologie wie 'Menschenrechte', 'Gleichheit' oder 'Freiheit' (...) eine hinreichende und solide Basis der eigenen militanten Praxis" (S. 144) so veränderte sich der öffentliche Diskurs in den westlichen Industrieländern zunehmend zu einem Besitzstandswahrungsdiskurs. Nicht mehr die globale Geltung der 'bürgerlichen Freiheiten', sondern die Verteidigung der erlangten Privilegien gegen die ausgeschlossenen Länder der 3.Welt und den aus diesen Ländern zureisenden Asylanten wurde Hauptthema in der medialen Öffentlichkeit. Das Projekt einer Gegenöffentlichkeit, die mittels 'wahrer' Informationen Aufklärung betreibt (z.B. das Gerücht von einer 'Asylantenschwemme' mithilfe von Zahlen widerlegt) stößt in einer Situation, in der sich ,einige Interessen von Teilen der subalternen Klassen in den drei großen imperialistischen Zentren USA, Japan und Europa durchaus mit denen der Hauptprofiteure des westlichen Herschaftsmodells [decken]" (S. 147) offensichtlich an seine Grenzen. 
Die Autoren gehen davon aus, daß eine grundsätzlich andere Organisation der Gesellschaft, ohne Ausbeutung und Unterdrückung, sowohl denkbar, wünschbar als auch machbar ist. In der momentanen Situation, in der allein der Gedanke, diese Welt könnte anders organisiert sein per definitionem verboten ist, gilt es als erstes den Diskurs zu durchbrechen, der diese Welt als 'die beste aller möglichen Welten' darstellt. Ziel dieser Strategie ist die Öffnung von Vorstellungswelten, die eine unabdingbare Voraussetzung für eine veränderte soziale Praxis, ein besseres Leben ist. 
Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, ist eine neue Form der Militanz, die 'Kommunikative Militanz'. 

'Kommunikative Militanz' schleicht sich in den hegemonialen Diskurs mittels 'listiger Verfremdungen und böswilliger Übertreibungen' ein, um dabei ,Dissonanzen über die Legitimität der herrschenden Verhältnisse anklingen zu lassen und so den grundlegenden gesellschaftlichen Konsens in Frage zu stellen.". (S. 149) 
Subversive Kommunikation, Übertreibungen, Neubewertung von Begriffen (So könnte zum Beispiel eine fiktive, von Autonomen gegründete, 'Gruppe zur Wiedereinführung des Staatssicherheitsdienstes', die Partei für den 'Großen Lauschangriff' nimmt, das staatliche Bestreben zum Abhören von Wohnungen mit geheimdienstlichen Methoden gründlich delegitimieren.), der ,Angriff auf die hegemonialen Werte und Normen, die es zu besetzen, umzudrehen, zu entwenden gilt" und Nonsens-Kommunikation machen die Praxis 'Kommunikativer Militanz' aus. 
'Kommunikative Militanz' läßt sich auch ohne technischen Aufwand praktizieren: 
,Ein Beispiel könnte folgendes Szenario sein. Zwei Menschen ohne deutschen Paß benutzen eine Fußgängerbrücke, auf dem RadfahrerInnen und FußgängerInnen vorgesehen sind. Sie werden prompt von einem älteren deutschen Radfahrer in rassistischer Weise angemault, daß FußgängerInnen in Deutschland immer rechts zu gehen hätten und sie frecherweise die Mitte dieses Überganges nutzen würden. Anstatt den Burschen vom Rad zu ziehen und ein Nazischwein zu schimpfen, wäre nun eine etwas andere Reaktion, am besten vor Publikum, denkbar: 'Wo hast du Rotzbengel eigentlich Manieren gelernt? Schämst Du Dich nicht? Keine Kinderstube aber auch! Was fällt dem denn ein, sich hier so flegelhaft zu benehmen? Einfach auf der Straße so rumzupöbeln? Mach, daß Du weiterkommst. Früher hätte es das nicht gegeben ...' Der Phantasie sind hierbei keine Grenzen gesetzt." (S.156) 


fussnoten

(1) Daß die Betonköpfe in Bundesanwaltschaft, Innenministerium und Staatsschutzbehörden umlernen und die Feinde von Demokratie und Freiheit dort verorten wo sie wirklich stehen - nämlich rechts - wird wohl noch einmal 1000 Jahre dauern. zurück
(2) autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe (hg.): medienrandale - rassismus und antirassismus -die macht der medien und die ohnmacht der linken? TROTZDEM-VERLAG, Grafenau 1994. zurück 

aus: Maximum Overdrive

Post an Redaktion Maximum Overdrive 
 
 
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