|
Als "opportunistisch" gelte die autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe und "altavantgardistische Subversionsversprechen" offeriere sie, heiß es in diesem Artikel.
Genau! Wir sind völlig Deiner Meinung, lieber Wiener!
Stoppt die Avantgarde!
In Wien trafen sich Künstler und Anti-Künstler zu den "Neoistischen Festwochen '97".
Von Karen Elliot
Aus: Jungle World Nr.6/1997 (Feuilleton)
In einer Zeit, in der "avantgardistische Kunst" vorzugsweise ohne Kunstwerke, dafür aber mit vollmundiger Theoriearbeit operiert und in der "avantgardistischer Pop" vor allem zwecks Abgrenzung von der Konsumpraxis der "Massen" erfunden wird, kehrt der vor über 20 Jahren zunächst als Anti-Kunst-Bewegung angetretene Neoismus gerade rechtzeitig wieder zurück - diesmal mit zeitgemäßeren Konzepten.
Die Gruppierung, die zwischen 1990 und 1993 - eingedenk ihres Vorbildes Gustav Metzger aus den frühen sechziger Jahren - zum großen "Kunststreik" mit dem (vorgeblichen) Ziel aufrief, den Kunstmarkt nachhaltig zu zerstören, beging Anfang Juni in Wien ihre "Neoistischen Festwochen '97" mit einer "Neoistischen Weltausstellung" und einem Symposion "Avantgarde Now?" (mit Inke Arms, Stewart Home, Günther Jacob, Pit Schulz, Herbert Lachmayr und dem Gutachter Prof. Dr. Thanos Lipowatz), das ganz der Kritik von Kunst- und Popavantgarden gewidmet war. Bloß, was ist Neoismus, was will und kann er leisten?
Drei Fragen, die sich nur bedingt beantworten lassen. Immerhin aber kann man beim Stöbern im Internet, dem ureigenen und idealsten Medium dieser laut eigener Aussage "letzten existierenden Avantgarde-Bewegung", zumindest einige wichtige Gemeinsamkeiten des wildwuchernden und inhaltlich kaum geschlossenen Neoismus herausfiltern (als Ausgangsbasis ist zu empfehlen http://www.neoismus.org).
Ausgehend von der US-Mail-Art-Bewegung der späten siebziger Jahre ("No Ism"), den dazugehörigen Apartment-Fest, Plagiarismus-Ausstellungen und "Gründungsvätern" wie David Zack oder Istwan Kantor und später dem wegen seiner Skinhead-Romane umstrittenen Autor Stewart Home ("Harter Stoff", "Slow Death"), haben sich folgende Charakteristika ausgebildet:
- Der Neoismus gibt sich betont theorielastig. Er wählt als seine bevorzugte Kommunikationsform das Manifest.
- Die Vertreter des Neoismus wenden sich gegen "bürgerliche" Kunstmodelle wie Kreativität und Authentizität und halten dem das Ideal des Plagiarismus entgegen. Dieser spare Zeit und Mühe und bestätige zudem schon einmal erreichte Ergebnisse. Dabei ist das Konzept des Plagiarismus selber ein Plagiat des situationistischen détournement. Nach Stewart Home, dem derzeit tonangebenden Neoisten, ist Kreativität nichts anderes als die klassische Arbeitsethik nach ihrer Angleichung an die Postmoderne und genauso entfremdet wie die Lohnarbeit.
- Plagiarismus definiert Home daher als schärfste Waffe gegen den Zwang zur Kreativität, Innovation und Talent, wie er bis heute in den Kunst- und Pop-Medien propagiert wird.
- Neoisten ziehen das Modell der multiplen Persönlichkeit dem bürgerlichen Geniekult vor. Deshalb tauchen unter Manifesten und neoistischen "Kunstwerken" auch vorwiegend zwei Autoren-Namen auf: Der als "multipler Pop-Star" konzipierte Monty Cantsin und eine den allgemeinen (Anti-)Kunstbelangen verpflichtete "multiple Signatur" Karen Elliot.
Tatsächlich waren während der Weltausstellung alle Bilder, Installationen und Aktionen mit Karen Elliot signiert, obwohl sie von verschiedenen Personen stammten. Für angehende Neoisten wurde vor der Ausstellung sogar eine Mappe mit neoistischem Original-Material zur allfälligen Nachempfindung bereitgehalten. Als elektronisches wie auch als Printmedium dient den Neoisten das Magazin Smile, das ebenfalls allen zur freien Verfügung steht bzw. das auch jeder und jede selbst herausgeben kann. Den größten Gefallen könnte man Neoisten übrigens tun, wenn man ihre Veranstaltungen mit Gegenaktionen stört. Immerhin behaupten einige Neoisten, daß es sich bei ihrer Richtung immer um eine Erfindung der Anti-Neoisten handelte.
Doch was sich zunächst wie eine weitere langweilige Variante von reformistischer Spaß- und Kommunikationsguerilla anhört, ist in Wirklichkeit durchdacht. So, wie uns der Neoismus heute, nach seiner zwanzigjährigen Geschichte gegenübertritt, vereint er zwar alle Kunstavantgarde-Konzepte, wie wir sie von Mail Art, Fluxus, Situationismus, Anti-Art, Angry Brigade etc. kennen, aber dies geschieht mit dem Anspruch, deren Widersprüche und Paradoxien sichtbar zu halten. Die Arbeit des Neoismus ist nicht im herkömmlichen Sinn analytisch. Vielmehr versteht sich der Neoismus als "praktische Reflektion".
So zielte etwa der Art Strike der Neoisten - sie organisierten übrigens gleichzeitig einen Anti-Art-Strike - nicht wirklich darauf, die Kunstproduktion lahmzulegen, sie wollten vielmehr belegen, daß ein Kunststreik nichts anderes sein kann als eine Kunstaktion, weil alles, was im Kunstraum geschieht, immer nur Kunst sein kann.
Indem der Neoismus noch einmal das inzwischen "klassische" avantgardistische Repertoire nachstellt, deckt er Verfahren der Selbstetablierung sowie den Zwang zum Vorsprung auf, was ja beides nicht nur im Kunstkontext relevant ist, sondern auch in politischen Zusammenhängen.
Im Mittelpunkt stehen dabei die Strategien Kontextualisierung, Analogisierung, Imagetransfer und Historifizierung. Der erste neoistische Lehrsatz lautet daher: Man kann nur berühmt werden, wenn man sein Tun als Fortführung bzw. Weiterentwicklung oder als radikalen Bruch einer anerkannten Sache mit erkennbarer Tradtion ausgibt. Der zweite Lehrsatz lautet: Es kommt dabei darauf an, dem Begehren eines identifikationssüchtigen Publikums nach einem risikolosen, nonkonformistischen Image zu entsprechen. Neoistische Manifeste sollen daher an Vertrautes anknüpfen, zum Beispiel an die Rhetorik futuristischer oder situationistischer Manifeste, möglichst angereichert mit einigen vulgärmarxistischen und popdissidenten Schagwörtern wie "Entfremdung" oder "Underground".
Zudem macht es sich gut, wenn eine Sache als etwas Neues und Unverbrauchtes angeboten wird. Daher NEOismus. Doch die Kombination von Präfix und Suffix ohne einen Wortstamm deutet schon darauf hin, daß das von den alten Avantgarden anvisierte Neue heute ein leerer universeller Horizont ist: In postmodernen Zeiten ist das Neue nicht mehr vorne: auch Retro kann neu sein. Das Neo funktioniert hier als leerer Mythos, der jedoch gerade aufgrund seiner Unbestimmtheit wirkt.
Solcherart Imagetransfer findet im Neoismus auf verschiedenen Ebenen statt. So behaupteten Neoisten, zwecks subversiver elektronischer Störung den ersten Computervirus entwickelt zu haben oder - ironische Anspielung auf die durchschaubare Dada/Punk-Parallelisierung bei Greil Markus und die Deleuze/Techno-Analogisierung in den Trendmagazinen - hinter der 1992 aufgelösten Popgruppe KLF (Kopyright Liberation Front) zu stecken, die sich ihrerseits altavantgardistischer Strategien bedient hatte, so wie es derzeit die Sparks wieder versuchen, deren in diesen Tagen erscheinendes neues Album "Plagiarism" heißt.
Der Angriff der Neoisten richtet sich auch gegen den Mythos vom "Ausverkauf" der Künstler und der "Vereinnahmung" bzw. "Reterritorialisierung" seitens der Kunst- und Kulturindustrie. Für Neoisten wie Home sind die Sell-Out bzw. Cashing-In-Behauptungen Teil eines funktionalen Zusammenspiels beider Parteien. So wie Anti-Kunst immer schon Teil des Kunstfeldes ist, ist auch die situationistisch-deleuzianische Vereinnahmungsthese ("Mainstream der Minderheiten" etc.) Teil einer Kanonisierungs- und Sichtbarmachungsstrategie, an der alle Seiten aktiv beteiligt sind. Es handelt sich dabei also um eine Konstruktionsform dieser Bereiche.
Der Neoismus lehnt auch altavantgardistische Konzepte wie "subversive Überaffirmation" (Laibach oder Kippenberger, aber auch die in Mittelschicht-Popszenen übliche, gespielte "Verprollung", etwa demonstrativer Bier- und Sportschau-Konsum) ebenso als spießbürgerlich ab wie "witzige", "antikorrekte" und "tabubrecherische" Provokationsstrategien von Kleindichtern oder Journalisten. Neoisten, die als Dichter, Maler oder Popideologen bekannt werden wollen, inszenieren solche Distinktionspraktiken etwa dadurch nach, daß sie Drogen- oder Alkoholabhängigkeit vortäuschen, indem sie Ateliers, Büros und Wohnungen mit leeren Whiskeyflaschen und gebrauchten Spritzen dekorieren.
Eine wichtige Rolle im neoistischen Konzept spielt die zielstrebige Selbsthistorifizierung. Aktivisten wie Stewart Home schreiben ganze Bücher über Kunstgeschichte (etwa "The Assault On Culture - Utopian Currents From Lettrism To Class War"), nur um darin ein Kapitel über den Neoismus unterzubringen und ihn so in den Kanon der Kunst als anerkannte Richtung einzuschmuggeln. Indem die Neoisten fortwährend die Geschichte des Neoismus schreiben, plagiieren sie eine Methode früherer Avantgarden. Richard Huelsenbeck schrieb seine "Geschichte des Dadaismus" bereits vier Jahre nach dessen Gründung, und von den Situationisten wurde bekannt, daß sie heimlich dafür sorgten, daß ihre Dokumente in den Museumsarchiven deponiert wurden.
Die These ist, daß erfolgreiche Avantgarden immer schon ihre Selbsthistorisierung organisiert haben. Sichtbar bleibt nur, wer es schafft, in die Archive einzugehen und so von der Zitiermaschine erfaßt zu werden. Nur was immer wieder zitiert wird, ist wirklich geschehen. Deshalb kommt es darauf an, über Freunde Besprechungen zu organisieren, durch fingierte politische Spaltungen oder selbst organisierte Gegenaktionen in die Medien zu geraten und es an Selbstlob nicht fehlen zu lassen. Doch die Neoisten wollen das nicht als "Subversion" verstanden wissen, sondern zeigen, daß es sich bei dieser Art von "subversiver Ausnutzung von Strukturen" um allseits legitimierte, also völlig etablierte Praktiken handelt.
Auf neoistische Issues berufen sich heute eine ganze Reihe von Gruppierungen. In London z. B. die Neoistische Allianz, die London Psychogeographical Association, die Neo-Lettristische Internationale oder die Association of Autonomous Austronauts, in Österreich die Anti Fun Faction und in Deutschland die Virtuelle Redaktion (Hamburg) sowie zeitweise die Autonome A.F.R.I.K.A.-Gruppe, die ihr "Handbuch der Kommunikations-Guerilla" zwar unter dem neoistischen Autorennamen Luther Blisset veröffentlichte, in der Szene jedoch als opportunistisch gilt, weil sie die altavantgardistischen Subversionsversprechen propagiert. Neoismus will nicht in diesem Sinn "dissident" sein. Er ist vielmehr eine praktische Kritik der Paradoxe der bisherigen Institutionenkritik. Der Neoismus agiert diese Widersprüche aus, statt sie noch weiter zu theoretisieren und so wieder in den Betrieb einzuspeisen. Er kann diese Widersprüche nicht auflösen, aber sie sichtbar halten.
Zu den Experten der Wiener Ausstellung gehörte auch die Ausgabe 103/ 1996 der linken Hannoveraner Zeitschrift Spezial. Ihr gesamter Inhalt - Analysen, Interviews, Buchbesprechungen - besteht aus Plagiaten von andernorts schon veröffentlichten Texten und Gedanken. Die "Redaktion" dieser "Zeitschrift gegen Kultur und Politik" organisierte ein Jahr lang über Mittelpersonen eine Gegenkampagne gegen das Blatt, dessen Titel eine Piratenflagge ziert, wozu das Gerücht paßt, das Blatt sei einer anderen Redaktion entwendet worden. In mehreren linken und kulturlinken Blättern (17 Grad, Links, Beute, Springer, Spex, ANYP etc.) wurden scharfe, im traditionellen linken "Linienkampf"-Stil abgefaßte Polemiken lanciert, und schließlich kursierte gar ein Schreiben, der "wahren Spezial-Redaktion" mit der Behauptung, bei dem Heft handele es sich um eine üble Fälschung. All das steigerte, wie geplant, erheblich den Bekanntheitsgrad der Zeitschrift.
Vor dem Hintergrund taucht nun der Verdacht auf, auch bei der Spaltung der jungen Welt in Jungle World und junge Welt könnte es sich um eine neoistische Inszenierung handeln, die dazu dient, die sinkende Auflage durch Produktdifferenzierung in ihr Gegenteil verkehren. Denn eines ist bisher noch den wenigsten aufgefallen: Zusammen verkaufen beide Blätter mehr Exemplare als die alte Zeitung.
Eine Einführung bietet Oliver Marchart: Neoismus. Edition Selene, Klagenfurt/Wien 1997, 130 S., DM 36
Brief an die jungle-world Redaktion |
|