Interview mit Stewart Home

Ludwigsburg. Am 29.11. 1995 trat der englische Kuenstler, Schriftsteller und Gesellschaftstheoretiker Stewart Home (London) im S 35 in der Luther Blissett-Stadt Ludwigsburg auf.
Stewart Home nutzte diese Gelegenheit, um sich mit der Ludwigsburger Psychogeographie auseinanderzusetzen und weitere Belege fuer seine Theorie der "Aesthetik in der Stadt", zu sammeln.
Stewart Home, Gastprofessor an der Pscychogeographical College der Liverpool Eastend University, wurde bei einem Interview-Stadtbummel von Luther Blisset begleitet. 

LUTHER BLISSETT: Stewart, wie kommst Du hierher nach Ludwigsburg? 
STEWART HOME: Ich bin gerade auf einer grossen Europa-Tournee. Angefangen habe ich in Finnland, dann war ich in der Schweiz und Oesterreich und bin nun seit zwei Wochen in der BRD auf Tour. Ich stelle mein neues Buch "Stellungskrieg" vor, eine Geschichte die in London spielt und die aber auch hier in Hamburg oder in Stuttgart stattfinden koennte. 

LUTHER BLISSETT: Dein neues Buch "Stellungskrieg" quillt ueber von Gewalt, Sex und Drogen. Du arbeitest mit allen Klischees dieser Welt. Warum? 
STEWART HOME: Wenn ich mich umschaue, dann sind das erstmal keine Klischees. Doch anstatt gegen diese festen Teile dieser Welt schoenzuschreiben, knie ich mich da hinein, waelze mich darin und geniesse sie. Wenn ich die Moeglichkeit haette, wuerde ich beispielsweise hier diese Fussgaengerzone in einen schicken Schrottplatz verwandeln. Ich meine, die Leute geben sich Muehe etwas so zu gestalten, dass sich viele wohlfuehlen koennen. Ich wuerde es so gestalten, dass ich mich wohlfuehlen kann. 

LUTHER BLISSETT: Zum Beispiel auch eine eine Kirche niederbrennen? 
STEWART HOME: Wenn das einen Prozess ausloest und nicht nach einer Loesung fuer irgendwas riecht, dann ja. Mich interessiert das neu entstehende, nicht das System. Daher musst du alles immer wieder zerstoeren. Konstruktive Demontage. 

LUTHER BLISSETT: Schreibst Du sowas nur in Deinen Buechern oder kommt das auch "im richtigen Leben" vor? 
STEWART HOME: Das Kaputtmachen von Strukturen und Linien ist ja alles andere als eine humorlose Taetigkeit. Wenige Tage nach dem Tod des NIRVANA-Saengers Kurt Cobain beispielsweise, habe ich einen Nachruf fuer ein Underground-Magazin geschrieben und behauptet, dass Cobain noch lebt. Ich zitierte Augenzeugen die ihn beim Einkaufen, in der Kneipe oder sonstwo gesehen haben. Es war danach richtig lustig zu sehen, wie die einen hoffen, die anderen zweifeln und die dritten sich ueberlegen wie sie damit Geld verdienen koennen. Und genau so geht es ja zu im Musik-Geschaeft. Einen Mythos basteln und dann draufhauen wenn es fuer den Plattenumsatz guenstig ist. 

LUTHER BLISSETT: Wie kommt so jemand wie Du an einen Lehrauftrag der Liverpool Eastend-University? 
STEWART HOME: Genau weiss ich es nicht. Aber es hat den Anschein, dass meine Thesen zur "Destruktion des oeffentlichen Raums" dem Diskurs der "Schoenen heilen Welt" diametral gegenueberstehen. Vielleicht haben sie auch ein Interesse daran, dass ich die Schwachstellen ihrer unzulaenglichen Sozialtheorien aufzeige. Aber vielleicht werde ich demnaechst ja die gesamten Rechner der Universitaet nach Nigeria schicken, die Leute dort sollen dann jeder tausendmal den Satz schreiben: Ich will mich nicht so sehr fuer die Natur einsetzen. 

LUTHER BLISSETT: Eine letzte Frage: Du hast auf deiner Tournee schon viele Staedte gesehen. Gibt es etwas was du zu Ludwigsburg sagen kannst? 
STEWART HOME. Das Schloss und diese Gartenanlagen finde ich phantastisch. Hier hat sich meine Theorie bestaetigt, erst wenn etwas zerschlagen wird, kann etwas neues daraus hervorgehen. Hier gibt es keine Koenige mehr, sondern auch normale Leute. Daher bin ich optimistisch wenn es um diesen Weihnachtsmarkt geht, der gerade auf dem Marktplatz stattfindet. 

LUTHER BLISSETT: Mr. Home, thank you very much. 

Stewart Home:
Stewart Home gilt als Englands radikalster Autor. Mit seinen Romanen verstoesst er gegen alle Regeln des guten Geschmacks sowie der Political Correctness: "Ich schmeisse Schund und Avantgarde zusammen und hoffe auf eine atomare Explosion. Mein Ziel ist es beide Kulturen zu demontieren. Ich bin grundsaetzlich dafuer, alles immer wieder zu zerstoeren." Seine Buecher gelten als boese, vulgaer, pornographisch, gewalttaetig, voellig abgekupfert und brilliant. Bisher sind zwei Romane bei Edition Nautilus auf deutsch erschienen: "Purer Wahnsinn" und sein neuester Band, "Stellungskrieg". Seine Inspirationen bezieht Home aus der britischen Schundliteratur. Die 'Junge Welt' bezeichnete ihn als "Egomanen" und "radikal unsymphatisch", weil von sich selbst "so ueber die Massen ueberzeugt". Sie beklagt, dass Homes Darstellung von Sexualitaet nicht nur voellig unerotisch, sondern auch von einem "billigen pornographischen, abstossendem Guck-mal-ich-habe-den-Laengsten-Kopulationsgebaren bestimmt" sei: "Er stiess sein Becken vor, drang in das feuchte Geheimnis ihres Geschlechts ein und begann, den primitiven Rhythmus der Suempfe zu stampfen." (Purer Wahnsinn). 'Literatur konkret' hingegen meint, dass Home die Geschlechtsakte "als Zwitter zwischen Krankengymnastik und existentieller Befreiung" konzipiere. Im 'richtigen Leben' kann es schon vorkommen, dass er anlaesslich des fuenften Jahrestages des iranischen Mordbefehls gegen Salman Rushdie in dessen Namen zu einer 'Jubilaeums-Koran-Verbrennung' aufruft oder wenn er anlaesslich der Verleihung des renommiertesten britischen Literaturpreises Eintrittskarten unter dem Motto 'Freier Schnaps, Haeppchen und Striptease' ausschliesslich an Obdachlose verteilt. Anzuenden, alles zerstoeren - darum geht es in seinem neuesten Roman. Und mit dem Schlachtruf 'Anarchie! Faulheit! Polymorphe Perversion' zeigt sich Home als Andre Bretons Bruder im Geiste. Stewart Home, geb. 1962, lebt in Poplar (Ost-London). Aktivist, Schriftsteller, Musiker, Gruendungsmitglied der 'Neoist Alliance' setzen), die sich auf Dada und Fluxus beruft.

 
 
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