Fake der sinistra! Radikale Linke

Alljährlich werden an der Uni in Frankfurt a. M. die Organe der studentischen Selbstverwaltung durch Wahlen neu besetzt. Auch wir waren zum Jahreswechsel 96/97 wieder einmal zur Wahl angetreten, allerdings auch diesmal ohne allzu große Hoffnungen. Wir führten den üblichen, teuren und mühseligen Wahlkampf mit Plakaten, Flugblättern und einer Party. Währenddessen jedoch traf sich ein ultra-klandestiner Zirkel innerhalb der sinistra!, um eine Verschwörung vorzubereiten. 
Diese kleine Minderheit verfaßte ein Flugblatt im Namen einer fiktiven "Studiengruppe Wahlforschung" unter der Leitung eines ebenso fiktiven Prof. Metzner, in welchem der sinistra! ein erstaunlicher Wahlerfolg prognostiziert wurde. 

 

Das Flugblatt

Das Flugblatt war sowohl der Form als auch dem Inhalt nach sehr seriös gestaltet. Im Namen der Studiengruppe war ein M. Butterwecke als presserechtlich Verantwortlicher samt Adresse angegeben, in der Mitte prangte ein professionell gemachtes Schaubild und eine echte sowie eine ausgedachte Literaturangabe simulierten zusätzlich Ernsthaftigkeit. Zu unserem Glück war einer der MitverschwörerInnen mit dem Jargon der empirischen Sozialforschung vertraut und beherrschte die entsprechenden Fachausdrücke. 
Der Text des Flugblattes gab vor, es handle sich bei den vorgestellten Ergebnissen bloß um einen kleinen Ausschnitt aus einer größeren Untersuchung. Dementsprechend haben wir die uns wichtige "Information" zwischen einige andere gestellt, sie aber dennoch gebührlich hervorgehoben. Neben Ergebnissen zur allgemeinen politischen Interessiertheit der Studierenden stand also, optisch durch eine "Torten-Graphik" unterstützt, das Ergebnis unserer "Sonntagsfrage". Das Ergebnis sollte eine "realistische" Prognose imitieren, d.h. die Abweichung von den Ergebnissen der vorigen Wahl sollte nicht zu groß sein, damit die Fälschung nicht sofort auffliegt. 
In der Prognose schanzten wir uns zwei Sitze (von 21) im Studierendenparlament zu und behaupteten überdies, die Uni Frankfurt liege damit ganz im bundesdeutschen Aufwärtstrend linksradikaler Gruppierungen. Allerdings konnten es wir uns nicht verkneifen eine uns besonders verhaßte kleinere Gruppierung ganz aus dem StuPa hinaus zu prognostizieren; dafür haben wir einer anderen, uns noch am ehesten nahe stehenden Gruppe einen zusätzlichen Sitz "verschafft". Dies war vermutlich der Grund, der eben diese Gruppe dazu bewog, uns nicht zu outen, denn zwei von ihnen hatten recht schnell bemerkt, oder vielmehr richtig gemutmaßt, daß das Flugblatt nicht echt war. 

Wir haben uns mit dem Flugblatt in die Tradition der gerade bei Wahlen beliebten Meinungsforschung gestellt und damit sowohl im Namen der "Macht" als auch der Wissenschaft gesprochen. 

 

Unsere Absichten

Zum einen versprachen wir uns von dieser Aktion eine gezielte "Schützenhilfe" für die Wahl: Das bekannte Problem bei der Wahl von kleineren Gruppen in Parlamente mit "Prozent-Hürden" ist die Befürchtung vieler potentieller WählerInnen und SympathisantInnen, ihre Stimme sei möglicherweise "verschenkt". Dies ist immer dann der Fall, wenn die Gruppe vorher noch nicht im Parlament, oder einer ähnlichen Institution vertreten war. 
Das unmittelbare oder erste Ziel war es also, unseren SympathisantInnen diese Furcht zu nehmen, und sie zu motivieren, ihre Stimme für uns abzugeben. 
Natürlich spielen bei den Wahlchancen einer linksradikalen Gruppe viele andere Faktoren eine ebenso große Rolle: Die potentiellen WählerInnen sind (völlig zurecht) prinzipiell feindlich eingestellt gegenüber den Institutionen der parlamentarischen Demokratie, sie sind faul und vergessen ihren Wahlbrief abzuschicken oder sind während der Urnenwahl gerade nicht an der Uni. All diese Dinge beeinflussen zu wollen ist denkbar illusorisch, weshalb wir uns auf diese eine Aktionsform beschränkt haben. 
Die Anwendung des Gesetzes "Falsche Informationen schaffen wahre Tatsachen" zielte aber auf ein weiteres Ergebnis: Dadurch, daß wir scheinbar so beliebt waren 10% der Studierenden beabsichtigten, uns ihre Stimme zu geben waren wir wichtig, d.h. man mußte uns zur Kenntnis nehmen: Erst durch unsere Relevanz wurden wir relevant. Das heißt nicht, daß wir vorher nichts getan hätten, das nicht Aufmerksamkeit produziert hätte, aber durch unsere "Massenbasis" waren wir in den Augen der anderen  plötzlich sehr viel ernster zu nehmen als vorher. 
 

Reaktionen:

Tatsächlich haben sehr viele Leute die Studie gelesen und davon erzählt; in der ersten Woche mußte man sich nur in die Aufzüge stellen, um dort Leute über das Flugblatt reden zu hören. Viele aus unserer Gruppe wurden von FreundInnen und KommilitonInnen, die z.T. von unserer Mitgliedschaft in der sinistra! nichts wußten, angesprochen und gefragt, ob wir denn schon gehört hätten... 
Aufgrund der extrem konspirativen Entstehungsbedingungen wußten in den ersten Tagen nicht einmal sinistra!-Mitglieder, was sie von dieser "Studie" halten sollten. 
Ein mit der Gruppe sympathisierender Freund erzählte später folgende Begebenheit: Auf dem Weg in sein Seminar war bereits im Fahrstuhl die Veröffentlichung der "Studiengruppe Wahlforschung" Gesprächsthema einiger Leute, die in das selbe Seminar wollten. Im Seminarraum angekommen, ging die Diskussion weiter bis zur Frage, wer denn diese sinistra! sei, die ja offensichtlich recht wichtig zu sein schien. Unser Freund, der selbst nicht wußte, wie er das Flugblatt einschätzen sollte, gab dann bereitwillig Auskunft und machte Werbung für uns. 
Darüber hinaus bleibt anzumerken, daß wir tatsächlich einen Sitz im StuPa ergattern konnten. Ob das allerdings als unmittelbare Folge unseres Fakes zu interpretieren ist, werden wir wohl nie erfahren. 
 
Radikale Linke 

 

P.S.: Zur gleichen Zeit hat eine uns nicht bekannte Gruppe oder Einzelperson eine vermutlich sehr viel durchschlagendere Form der Verwirrung gestiftet. Die Gruppe/Person machte sich den Umstand zunutze, daß die im StuPa mit einem Sitz repräsentierte Liberale Hochschulgruppe zu dieser Wahl nur ihr Namenskürzel in die Wahllisten eintragen ließ. Die drei Buchstaben LHG provozierten zur Umdeutung und schon bald erschienen Flugblätter, die von einer Leninistischen Hochschulgruppe verfaßt waren und die vorgaben, die LHG zu sein, die auch für das StuPa kandidiert. Die "echten" LHGler antworteten mit einem Dementi, das in noch höherer Auflage verteilt wurde und die Sache natürlich nur noch schlimmer für sie machte, denn viele waren jetzt erst recht verunsichert. Übrigens: Die LHG verlor ein knappes Drittel ihrer Stimmen und damit ihren Sitz; in ihrem Gruppenraum sitzen heute wir!

 
 
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