Pressemitteilung:

Der Tübinger Wohlfahrtsausschuss schickte folgenden Bericht an das "Archiv der Kommunikationsguerilla", der hiermit veröffentlicht wird.
 

"Radio Blissett gewinnt Maisingen"

(O-Ton aus:Schwäbisches Tagblatt, 2.5. 1997) 
- Fight for the right to party!

Tübingen. In der Nacht zum 1. Mai ging auf dem Tübinger Holzmarkt erstmals Radio Blissett auf Sendung. Der Tübinger Wohlfahrtsausschuss nahm anlässlich des Maisingens (seit Jahren ein Anlass für die Burschenschaften mit Fackeln und in vollem Wix in militaristischer Manier aufzumarschieren) einen Piratensender in Betrieb, der am Ende den gesamten Holzmarkt in eine Party-Zone verwandelte. 

Dem Wohlfahrtsauschuss war es gelungen die multiple Persönlichkeit "Luther Blissett" als Moderator zu verpflichten. Er führte in dieser Nacht durch das Programm. Den DJ machte Sonja Brünzels, die erst jüngst als Mitautorin des "Handbuches der Kommunikationsguerilla" auf sich aufmerksam gemacht hat (Sonja Brünzels ist ausserdem "Kommissar für die korrekte Verwendung von Musik im öffentlichen Raum"). 

Die Burschenschaften traten dieses Jahr wieder als Vorgruppe des Maisingens an. Sie stellten sich unter dem Namen "Alte Herren" dem Publikum. Unter der musikalischen Begleitung der Musik der Gruppe Laibach (Neue Slowenische Kunst - NSK/Laibach) drückten sie ihr Lebensgefühl überaus authentisch aus. Diese Authentizität honorierte das kritische Publikum jedoch nicht. Sie hatten von Beginn an einen schweren Stand. 

Luther Blissett begrüsste nach dem Einmarsch das Publikum (ca. 2000 Menschen), die bewaffnete Staatsgewalt und die "Alten Herren", die gegenüber den Vorjahren sehr dezimiert waren. Es folgten drei Lieder der "Alten Herren" (Der Mai ist gekommen, Die Gedanken sind frei und Alma Mater Tübingensis). Bereits während ihres Auftrittes übernahm Radio Blissett dank entsprechendem Verstärker- und Lautsprecher-Einsatzes die Sendegewalt auf dem Platz. 

Luther Blissett überredete Sonja Brünzels zu einer erste Kostprobe ihres Könnens. Mit allen Regeln der DJ-Kunst wurden die Lieder der "Alten Herren" auseinandergenommen und neu zusammengesetzt. Sonja Brünzels begeisterte insbesondere die Ordnungshüter mit Passagen aus der Muppet-Show. Dieselben fühlten sich mit einem Mal richtig verstanden. 

Die "Burschen" waren zwar noch auf dem Platz, jedoch hatten die übrigen Beteiligten sie sehr schnell vergessen. Bereits von Beginn an, waren die Burschis als auch die Ordnungshüter Teil der Inszenierung von Radio Blissett. 

Die Stimmung, die seitdem frühen Abend nicht zuletzt aufgrund des Engagements einer Trommelfraktion im Publikum die ganze Zeit über auf hohem Niveau blieb, wurde immer überschwenglich. Wagemutige überwanden die Absperrungen der Ordnungshüter und zeigten worum es an diesem Abend gehen sollte: Fight for the right to party! 

Schliesslich räumten die "Alten Herren" ihren Teil der Bühne und der Holzmarkt gehörte dem Publikum ganz allein. Sonja Brünzels und Luther Blissett liessen sie fortan swingen. Das Publikum war fest entschlossen, die bösen uniformierten Geister, die zuvor versucht hatten, das Geschehen zu dominieren, vom Platz zu tanzen. 

Das Publikum machte auf seine Weise deutlich, das dem Mief der Burschenschaften und ihrem Sound von vorgestern vor allem mit einem anderen Lebensgefühl beizukommen ist. Schliesslich folgte diesem armseligen Männerbund niemand in ihre Häuser über der Stadt, wo sie derweil im Frust dem Alkoholismus huldigten. 

Fazit: Radio Blissett gewann das Maisingen. Es war an diesem Abend nicht die bessere Ideologie ("Nazis raus"), die den Burschis zusetzte, sondern das bessere Lebensgefühl, sprich die attraktivere soziale Praxis, die triumphierte.

 
 
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