Kommunikationsguerilla - das richtige Buch zum derzeitigen Verhältnis

Schon die Klassiker des modernen Linksradikalismus kamen ohne Fake nicht aus: Um die Nationalökonomen seiner Zeit zur Auseinandersetzung mit dem neuen Werk seines Genossen Marx zu zwingen, veröffentlichte Friedrich Engels unter falschen Namen mindestens 15 Kritiken und Verrisse zum 'Kapital" in bürgerlichen Zeitungen & Zeitschriften, brachte es ins öffentliche Gespräch und die 'bürgerliche Verschwörung des Schweigens" ward gebrochen. Nicht allein der Inhalt, sondern die Tatsache der Berichterstattung selbst kann entscheidend sein, folgern die AutorInnen. Das Buch, von dem hier die Rede sein soll, ordnet sich äußerlich schnell in den falschen Regalabschnitt, denn wer z.B. eine autodidaktische Autoschrauberin ist, wird Handbücher solchen outfits kennen. 'Jetzt helfe ich mir selbst", schwarze Schrift, grünes Bild daneben und in blau der Stempel, der auf diesem Exemplar nicht über die aktuelle Verkaufszahl informiert, sondern auffordert 'Kauft - über 3 Millionen - aus diesen Verlagen". Diese Verlage sind Libertäre Assoziation und Schwarze Risse/ Rote Straße und äußerst praktisch ist es auch, das 'Handbuch der Kommunikationsguerilla'.

 

Haltung und symbolisches Aufbrechen

'Das 'Konzept Kommunikationsguerilla' bezeichnet nicht nur eine Aufreihung mehr oder weniger 'politischer' Gruppen oder ein Sammelsurium verschiedener Aktionsformen, sondern auch und vor allem eine bestimmte Haltung gegenüber politischer Aktion und politischer Praxis im allgemeinen" (S. 174). Kommunikationsguerilla ist eine Taktik, die herrschende Ordnung des Diskurses aufzubrechen, durcheinanderzubringen oder zu stören. Eine Methode, diese Taktik in die Tat umzusetzen, ist das Fake ('Fake = Fälschung + Aufdeckung/ Dementi/Bekenntnis" (S. 69)). Das Fake soll die Einheit aufbrechen, die zwischen Text und Autor besteht und Macht legitimiert. Ob und wie weitreichend das gelingt, hängt von vielem und nicht zuletzt vom Verbreitungsgrad ab. Wenn z.B. während der Castortransporte vor einigen Wochen in diversen Zügen Informationen mit dem Logo der Bundesbahn oder des Bundesamtes für Strahlenschutz ausliegen, die dazu raten, Zeitungen (wegen der bleiernen Druckerschwärze!) oder Koffer zum Schutz vor radioaktiver Strahlung zu benutzen, kommen Fragen auf. Kann diese Aussage (Schutz hinter Zeitung suchen) von jener Autorität (Bundesamt bzw. Bahn) kommen, wenn nein, warum nicht, wenn ja, was ist davon zu halten, etc. Fragen und Verunsicherung, ohne die Herrschaftskritik überhaupt nicht möglich ist. Nur, und das geben die AutorInnen selbst zu bedenken, ist das Fake und ähnliche Mittel, nicht wirklich etwas für Unterprivilegierte und zum Aufbrechen von Herrschaftsverhältnissen nur bedingt geeignet. Denn Du mußt ja schon nah genug an herrschenden Symbolpraktiken dran sein und gesellschaftlich dominantes Sprechagieren kennen, um das Fake als Fake wahrnehmen zu können. Also "eher eine Praxisform für MittelklassedissidentInnen" (S. 68), aber als solche keinesfalls abzutun. Denn im Leseverlauf wird auch deutlich, daß der vielgeschmissene Vorwurf, all diese Störaktionen und womöglich gar Subversion schlechthin seien "nur" symbolisch und eben keine "richtige Politik" heute ins Leere gehen muß, weil: "Politik ist immer symbolisch" (S. 219). 

 

Frage (ganz grundsätzlich)

Dabei stellt sich aber auch die ganz grundsätzliche Frage, ob es sich bei dem hier vorgestellten, um den Spaß am Rande oder die unerläßlich Modifizierung revolutionärer Politikansätze handelt. Ich beantworte sie gleich, stelle aber zuerst noch den obersten des seitenweise dreigeteilten Buches vor. Neben (bzw. über - und hier wird die Förderung abweichende Lesarten schon im Layout betrieben!) den zahlreichen Anekdoten und historischen Aktionsbeschreibungen von Happenings, Fakes, Müllereien, Crossdressings, unsichtbarem Theater, etc., etc. gibt es nämlich auch noch eine schon zu erwartende namentropfende Ahnengalerie. Mit ihren verschiedenen Techniken des Medienumgangs stehen da so verschiedene Projekte wie die Anarcho&a-Pop-Band Chumbawamba (krasser Inhalt in massenmedialer Verpackung) neben der Situationistischen Internationale (keine Spuren hinterlassen außer für solche Bücher), Waffenfanatiker & BeatAutor William S. Burroughs (Sex als Manipulationsinstrument) neben der Agentur Bilwet (souveräne Medien durch Deformation). Alle werden kurz vorgestellt und das undogmatische An- statt Ausdiskutieren läßt den subversiven Raum jenseits aller lokalen und temporären Bindungen unendlich groß erscheinen. Das ist gar nicht mal schlecht, denn hier wie da gibt es diskussionswürdiges: Dada ist ohrenquellend-wichtige Kunstgeschichte und nicht halb so praxistauglich wie Theorie-Trash aus Amsterdam (Agentur Bilwet), Luther Blissett "ist die Vertreterin einer umfassenden Strategie. Doch diese Strategie ist Nicht-Strategie. (...) ist die Besitzerin einer neuen Identität. Doch diese Identität ist Nicht-Identität. (...) ist die Inhaberin eines sicheren Ortes. Doch dieser Ort ist ein ortloser Ort" (S. 78), das ist schnell behauptet aber eigentlich doch unbrauchbarer Quatsch und theoretisch nicht ansatzweise so packend wie ihr Buch insgesamt.

 

Krise. Keine Krise

Zurück zum Grundsätzlichen: Im Vorwort taucht es auch wieder auf, das häßliche Wort von der "Krise der Linken". Ich schlage vor, wir vergessen das mit der zu behebenden Krise und gehen ganz einfach davon aus, wir lebten in den 90ern. Dort ist plötzlich die Konsumtion wichtiger als die Produktion, wenn es ums Bindeglied zwischen individueller Lebenswelt und zweckgerichteter Rationalität des Systems geht (wie der Soziologe Z. Bauman meint und als "postmodernes Gesellschaftssystem" bezeichnet). Kommunikationsguerilla zielt nicht darauf, mündige KonsumentInnen zu produzieren oder beim Einkauf ihre Tasche zu tragen, sondern Kommunikationsguerilla stellt immer noch und gerade jetzt die warenidentifizierte Mythologie des Alltags in Frage, in der Macht und Herrschaft als natürliche Gegebenheiten erscheinen. "Trotz ihrer strengen Kodifizierung ist Grammatik niemals endgültig festgelegt" (S. 18). Auch "kulturelle Grammatik" nicht, und deshalb ist dies das richtige (heißt: ein richtiges) Buch für diese Verhältnisse! Wie jedes gute Handbuch enthält dieses auch unzählige Querverweise, Quellenangaben an Ort & Stelle (sehr praktisch) und vom Serviceteil mit allerlei Websites & Links mal ganz zu schweigen. Mal abgesehen von der Neigung, jedes Buch, daß meinen eigenen Vorlieben entspricht und Begeisterung beflügeln hilft, zum politischen Muß zu erklären, täte dieses hier nicht schlecht daran, in jedem Infoladen und bei revolutionären Initiativen aller Art verfügbar rumzustehen. Denn der Bedarf an Phantasie kennt ja bekanntlich keine Grenzen. 

Oskar Lubin (Agentur Petzner & pseudonyms)

 

aus: Apoplex (Münster) und Graswurzelrevolution (Sommer 1997 Nr. 220)

Redaktion Graswurzelrevolution
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