Schwäbisches Tagblatt Die "Subversion für den Heimwerker" will das "Schwäbische Tagblatt", die wie keine andere Zeitung Lokalpatriotismus zelebriert. Aber ob es auch stimmt... 
 

Subversion für den Heimwerker

"Man kann seiner eigenen Zeit nicht böse sein, ohne selbst Schaden zu nehmenï, fühlte Ulrich." Als Text auf einem politischen Transparent scheint sowas gänzlich ungeeignet. Oder doch nicht? Zum 1. Mai letzten Jahres wurde es in Berlin entrollt. Beginnt es da in den auf die üblichen Parolen abonnierten Köpfe zu rumoren? Vielleicht fährt nun ein Zug subversiven Nachdenkens den Sonntagsrednern mitten hinein in ihre Parade.

Festgehalten ist das Transparent unter dem Schlagwort "Verfremdungsprinzip" in einem im März erschienenen Lehrbuch, für das bienenfleißig subversive Maßnahmen und Methoden gesammelt wurden. Das "Handbuch der Kommunikationsguerilla. Jetzt helfe ich mir selbst" könnte in der Heimwerker-Ecke jeder deutschen Buchhandlung stehen. "Keine Vorkenntnisse erforderlich" verspricht schon der Einband. 

Neben der Chronik des listigen Eingreifens in die versteinerten Kommunikationsverhältnisse gibt es auch einen Extraschlag Theorie und Farbenbekenntnis. Wie heißt es so schön edelprotestantisch im Vorwort? ,;Wenn wir uns auf dem Zwischenbereich zwischen aufklärerischer Politik und svmbolischkultureller Intervention konzentrieren und die oft geradezu protestantisch ernsthafte Politik angreifen, möchten wir dies als solidarische und durchaus an uns selbst gerichtete Kritik verstanden wissen."

Das Handbuch ist von bemerkenswerter Unübersichtlichkeit. Aber das macht nichts, auf diese Weise lernt man dazu. Was bedeutet Sniping? Semiotisches Heckenschützentum. Mit Spraydosen werden (Werbe-)Plakatbotschaften zur Kenntlichkeit entstellt. Oder was ist "Müllern"? Sich als Spießbürger ausgeben' zum Beispiel im Fernseh-Talk unausgesprochene Vorurteile aussprechen, damit den Gegner entlarven. Vom "wilden Lachen", vom "psychischen Angriff" (anscheinend gibt es auch eine Telekinese-Guerilla) ist die Rede - vom Tortenwerfen, den Orten des Störens oder wie man die Bürokratie in ihren eigenen Papierbergen erstickt. Es gibt viel zu tun auch für den freundlichen Hobby-Subversiven und Graswurzel-Anarcho. 

Irgendwie muß dieses Buch (erschienen im Verlag Schwarze Risse/Rote Strasse, 29.80 Mark) auch mit Tübingen verwandt sein. Die autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe, ein hiesiges Gewächs' hatte vor diesem enzyklopädischen Nachschlagewerk schon mal zur "Medienrandale" ausgeholt. Und im Underground des horizontal geteilten Buches findet sich das mehrseitige Protokoll des allseits beliebten hiesigen 1.Mai-Balletts. Speziell des berühmten 95er-Jahres, wo sich einige Herren in schlichter Nacktheit dem Vollwichs der Burschis entgegenstellten und ihnen die Show stahlen. Der sogenannten Wohlfahrtsausschuß Tübingen hielt seine Haut dafür hin und rollte Transparente mit "Jesus liebt Euch alle" und "Versöhnet Euch" aus. Auch zum detaillierten Verständnis dieser Aktion verhilft uns das Buch. Was nämlich den Erfolg des Spektakels ausmachte, war der "Kontrast zwischen den auf dem Platz exponierten Versionen von Männlichkeit. Der durch Bändel und Kappen formierte, uniformierte Männerkörper, der noch dem rundesten Kindergesicht ein hartes Kinn und eine rauhe Stimme verpaßt, die polizeilichen Schulterklappen, Schlagstöcke und taschenlosen Hosenböden, Breitbeinigkeit' Geradheit und Aufrechtheit' aber auch besoffenes Schwanken kontrastiert durch den ungewohnten Anblick nackter Männer."

(ust/Bild: Metz) 

Schwäbisches Tagblatt. 25.4. 1997 

 
 
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