Ein Interview über geworfene Torten, gefälschte CDU-Aufkleber und die Clowns-Armee, in: Greenpeace Magazin Nr. 3.
Der Kapitalismus kriselt, aber auf den Straßen bleibt es seltsam ruhig. Wie kann heutzutage politischer Protest aussehen? Ein Interview über geworfene Torten, gefälschte CDU-Aufkleber und die Clowns-Armee
Wir haben die Nase voll von der Ausschließlichkeit furztrockenen Flugblattschreibens“, heißt es auf der ersten Seite des Handbuchs der Kommunikationsguerilla. Protestmethoden werden darin beschrieben, „die nicht nur subversiv sein, sondern auch noch Lust und Vergnügen bereiten“ sollen. Es ist mittlerweile in vierter Auflage erschienen, wurde bereits ins Spanische und Italienische übersetzt.
Einer der Namen, die auf dem Buchdeckel stehen, lautet „Sonja Brünzels“. Aber da geht der Spaß schon los: Denn zum konspirativen Interview in einem alternativen Buchladen in München-Schwabing erscheint ein Mann, Mitte vierzig, dunkle Haare, Brille, kleiner Ohrstecker …
Hallo, ich bin Sonja Brünzels!
Aber so heißen Sie nicht wirklich!? Natürlich nicht.
Sehr geschickt, Fantasienamen machen immer neugierig. Ach, das war eher ein Nebeneffekt. Vor allem wollten wir eine Personalisierung vermeiden, dass Einzelne von uns zu Stars werden. Wir sind ein Kollektiv …
… in welchem Alter, mit welchen Berufen? Wir sind jünger und älter, wir sind Medienleute, Wissenschaftler-Innen, ErzieherInnen. Anfangs war die Anonymität auch Selbstschutz. Als wir an dem Buch arbeiteten, hielten uns Bundeskriminalamt und Generalbundesanwalt für einen Teil der „radikal“-Redaktion …
… die Zeitschrift wurde Mitte der 90er-Jahre der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach Paragraf 129a bezichtigt. Ja, und der ist nicht so richtig witzig. Der Nachdruck früherer Texte von uns in der „radikal“ gab den Vorwand ab, unseren Briefverkehr zu überwachen. Als dann 1995 bei bundesweiten Razzien Leute verhaftet wurden, waren die Konstruk-tionen aber wohl doch zu aberwitzig.
Wieso verwenden Sie einen Frauennamen? Es ist doch erhellend für jeden Gesprächspartner, etwas über sich zu erfahren, wenn ein Mann sich am Telefon mit „Sonja Brünzels“ meldet, oder?
Und das ist dann schon der Kern dessen, was Sie "Kommunikationsguerilla“ nennen.
Uns geht es darum, Gesellschaft zu verändern – die Frage ist, wie das heutzutage gelingen kann. „Kommunikationsguerilla“ ist ein Mittel, aber sicher nicht das einzige. Es hilft, Gewissheiten aufzubrechen, Widersprüche in der Gesellschaft offenzulegen, die längst als normal akzeptiert werden. Sozusagen den Raum zu öffnen, damit Alternativen überhaupt denkbar werden.
Aber wenn solche Aktionen Erfolg haben und nicht nur Klamauk sein sollen, dann müssen sie eingebettet sein in einen größeren Kontext. Ein Kommunikationsguerillero unterstützt politische Kämpfe. Er definiert zuerst sein Anliegen – und schaut dann nach dem passenden Instrument.
Obwohl der Kapitalismus gerade seine größte Krise seit Jahrzehnten erlebt, hat es den Anschein, dass die sozialen Bewegungen eher an Bedeutung verloren haben. Es funktioniert nicht mehr, wie einst bei der Friedens- oder der Anti-AKW-Bewegung, Massen von Leuten über Jahre unter Strom zu setzen. Die Gesellschaft hat sich verändert, die alten Sozialmilieus zerfallen. Das Ideal der typischen Aktivisten war, Flugblätter zu schreiben und immer mehr Leute in Plenen zu versammeln. Das ist nicht sehr sexy.
Klassische Kommunikations-Guerilla war die „Clowns Army“, die in Heiligendamm auftauchte und die martialische Polizei bloßstellte. Die Demonstranten freuten sich, und Journalisten fuhren voll drauf ab. Es war eine Schwächung des Polizeiapparates in dieser konkreten Situation, aber natürlich nicht des Systems insgesamt.
Deshalb werden solche Aktionen in der Szene oft als reine Symbolik kritisiert. Es ist doch überhaupt nicht schlimm, symbolische Proteste zu organisieren. Letztlich ist jede Form von Politik jenseits des Kriegführens symbolisch. Wir leben in einem kog nitiven Kapitalismus – Wertschöpfung passiert heutzutage meist über Symbole, durch die Produktion von Images oder Marken, beispielsweise in der Werbung. Da setzen symbolische Proteste quasi am Kern des Wertschöpfungsprozesses an! Im Übrigen ist die Revolte immer geprägt von den herrschenden Verhältnissen.
Wie könnte eine Aktion von Kommunikations-Guerilleros jetzt, mitten in der Wirtschaftskrise aussehen? Sie müsste zeigen, dass es beim sogenannten Krisenmanagement eigentlich nur um eines geht: den Kapitalismus zusammenzuhalten und seine Legitimität zu verteidigen.
Im März sorgte Attac mit einem Fake der ZEIT für Aufsehen – im bekannten Layout des Blattes wurden antikapitalistische Texte verbreitet. Naja, das war eher Camouflage als Fake. Es wurde ja nur das Äußere gekapert und mit Texten gefüllt, die typisch Attac waren. Viel raffinierter hat es letzten November in den USA die Aktivistentruppe The Yes Men gemacht: Sie produzierten eine New York Times, die komplett im Nachrichtenstil war – nur eben mit ausgedachten News. „Irak-Krieg endet“, stand da ganz einfach. Das nahm die Wünsche vieler Leser auf und entwarf ein Szenario, das die Obama-Administration viel stärker unter Zugzwang setzt.
Vor Jahren, während der CDU-Spendenaffäre, haben Sie eines Sonntags ein falsches Fax von Helmut Kohl verschickt, in dem er ankündigte, doch noch die Namen seiner geheimen Spender zu nennen. Der Briefkopf war perfekt kopiert, die Wortwahl typisch Kohl. Eine Stunde lang überschlugen sich die Agenturen. Sagen wir so: Jemand hat es gemacht. Das war ein historischer Glücksfall. Man brauchte nur zu antizipieren, was die Medien wünschten – eben dass Kohl redet. Und ein klitzekleines Fax hat dafür gesorgt, dass er nochmal in die Bredouille kam und erklären musste, dass er nichts sagt.
Ihr Handbuch enthält eine regelrechte Liste von Kommunikationsguerilla-Methoden – das Kohl-Fax fiele unter die Kategorie „Erfindung“. Das Prinzip lautet: Falsche Tatsachen schaffen wahre Ereignisse. Das ist ein Instrument, die Agenda mitzubestimmen. Wenn ich die Massenmedien nicht in der Hand habe, muss ich auf andere Art versuchen, Themen zu setzen. Man kann Leuten etwas in den Mund legen, was ihnen Probleme bereitet.
Im Buch gibt es auch eine „Kleine Geschichte des Tortenwerfens“. Tortenwerfen ist radikale Unversöhnlichkeit – aber diesseits der Gewaltschwelle. Ich will niemanden verletzen, aber ich will ihn blamieren. So kann man mächtige Leute lächerlich machen, ihnen ihre Unangreifbarkeit nehmen – aus der ein Großteil ihrer Macht resultiert. Für sich genommen sind das nur kleine Scharmützel. Um inhaltlich etwas zu erreichen, müssen sie eingebunden sein in eine größere Kampagne. Unser Buch soll keine Anleitung sein für isolierte Aktionen, sondern eher ein Werkzeugkasten mit Anregungen – nicht nur, aber auch um den Unterhaltungswert zu steigern.
Pfeifen und Brüllen, schreiben Sie, sei wenig effektiv, um Wahlkampfkundgebungen zu stören – und empfehlen stattdessen, übermäßig zu applaudieren. Das ist der Klassiker. Es reagiert darauf, dass Parteipolitiker inhaltlich nie auf einen eingehen, stets über die Köpfe des Publikums hinwegreden. Wir haben es immer nur nicht richtig verstanden.
Etwas für Fortgeschrittene wäre dann – wie Sie im Buch beschreiben –, als brave Bürger verkleidet auf einer Parteiveranstaltung aufzutauchen und von einem Politiker etwas zu fordern, was er so klar sonst nicht aussprechen würde. So etwas macht übrigens richtig Spaß! Wir sind mal zu einer Diskussionsrunde gegangen, wo Politiker über ein geplantes Atommüll-Lager streiten sollten, und haben gefordert: „Wir müssen uns für ein Zwischenlager hier bei uns einsetzen, um den Bürgerinnen und Bürgern zu zeigen, dass die Atomkraft sicher ist.“ Da wurde den Politikern regelrecht mulmig.
Oder ein Besuch des baden-württembergischen Umweltministers in der Provinz – wo genau, tut nichts zur Sache: Er hatte sich selbst zu einer Diskussionsveranstaltung in einem Szenelokal eingeladen, und wir haben schon vorher das Podium mit einem Anti-Atom-Experten besetzt. Der Minister kam rein und war völlig überrascht. Wir haben ihm gesagt, er dürfe gern Fragen an den Experten stellen. Und er dürfe auch Fragen aus dem Publikum beantworten – aber eben nicht auf die Bühne steigen. Da stellte sich heraus, dass ihm dies das Allerwichtigste war. Wir haben einfach die Regeln neu definiert.
Warum ist der Minister nicht einfach abgezogen? Er wollte unbedingt das Publikum erreichen und ihn hatte wohl auch der Ehrgeiz gepackt. Seine Begleiter haben dann auch handgreiflich versucht, aufs Podium zu kommen. Aber wir hatten eine Moderatorin, die war kampfsporterfahren … Unsere ganze Idee wäre schiefgegangen, wenn er sich drauf eingelassen hätte, unten beim Publikum zu bleiben. So aber konnten wir den Leuten sagen: Schaut, es geht dem Herrn nicht darum, mit Euch zu reden. Das könnte er. Aber er will es nur von oben herab.
Fake-Anzeigen, wie es sie auch im Greenpeace Magazin gibt, sind ebenfalls ein Mittel von Kommunikationsguerilla. Im Buch gibt es Bilder von falschen CSU-Wahlplakaten mit dem Slogan „JA zum Sex in Bayerns Schulen“. Noch besser war ein einfaches Graffiti auf einer Regensburger Hauswand, das schlicht „CSU“ lautete. Niemand in der Stadt kam überhaupt auf die Idee, dass diese Sprühaktion nicht von CSU-Anhängern stammte.
Das Verfremden von Anzeigen wird „Subvertising“ oder „Adbusting“ genannt. Warum ist das so beliebt? Es ist relativ einfach. Mit wenig Aufwand kann man auf Plakaten öffentlich Korrekturen anbringen.
Trotzdem wird das „Adbusting“ in Ihrem Handbuch auch kritisiert. Jein. Das bezieht sich auf eine nicht hinreichende Werbekritik. Oft kratzen Verfremdungen nur an der Oberfläche. Da werden besonders böse Konzerne angegriffen – und so implizit in gute und schlechte Kapitalisten unterschieden. Die übliche Konsumkritik spricht zudem nur bestimmte soziale Gruppen an, vor allem die Mittelschicht. Uns geht es aber darum, das Übergreifen kapitalistischer Mechanismen in alle gesellschaftliche Bereiche grundsätzlich in Frage zu stellen. Auch ökologischer Kapitalismus bleibt Kapitalismus.
Unser Ziel ist es, hegemoniale Sichtweisen in der Gesellschaft zu erschüttern, die Vorstellung etwa, dass die Teilung in „oben“ und „unten“ etwas ganz Naturgegebenes sei. Der Unterschied ist: Nach „68“ hörte die Linke oft, dass ihre alternativen Gesellschaftsvorstellungen ja ganz schön seien – nur die Menschen hierfür nicht geschaffen. Nach „89“ gab es eine Stimmung, dass eine Alternative zum Kapitalismus nicht mal mehr wünschenswert oder gar möglich wäre. Solcher Chloroformisierung des Bewusstseins wollten wir nicht tatenlos zuschauen.
Und wie verhindern Sie, nur Clowns zu sein, die den Kapitalismus letztlich stabilisieren – wie der Narr am mittelalterlichen Hof? Ach, das ist die alte Debatte um den Karneval: Ist er nur Ventil für gesellschaftliche Missstände? Karneval am Faschingsdienstag, interessiert uns nicht. Aber Karneval und Verweigerung der Arbeit an jedem Dienstag, das finden wir gut! Und glaubt uns, wenn es noch eine Revolution im klassischen Sinne geben wird, dann wird sie ihren Ursprung in einer Party haben.
Das Gespräch führte Toralf Staud