Corpus Christi 2000 – Bußprozessionen, Fundamentalisten und andere Schwulitäten
Erboste christliche Fundamentalisten mobilisierten im Sommer 2000 gegen die Aufführung des Theaterstücks “Corpus Christi” von Terrence McNally?, das Homosexualität und christliche Religion thematisiert. Wo immer das Stück aufgeführt wird, taucht wie ein Wanderzirkus ein fundamentalistischer katholischer Priester mit Anhang auf. Die Demonstrationen, bei denen christliche und muslimische Fundamentalisten gelegentlich Koalitionen bilden, haben eine derart aggressive Tendenz – einmal wurde ein Stand der Aidshilfe vom Platz geprügelt - dass inzwischen die Polizei mit starker Präsenz reagiert. Einige Landestheater in Baden-Württemberg nahmen das Stück aus Solidarität mit dem im Zentrum der fundamentalistischen Angriffe stehenden Stadtheater Heilbronn in ihr Programm. Einige Stadtverwaltungen, etwa in Ulm, Karlsruhe und Pforzheim, untersagten die Aufführung - angeblich aus Angst vor Übergriffen . Im Tübinger Lokalblatt tauchten Anzeigen auf, in denen besagter Paffe eine Woche vor der Aufführung zur Kundgebung gegen “Corpus Christi” auf dem Marktplatz aufrief. Zusätzlich hatten die Bürger die Möglichkeit, telefonisch ihre Stimme pro oder contra “Corpus Christi” abzugeben. Durch 97 % der abgegebenen Stimmen sah sich der rechtsextreme Pseudo-Priester legitimiert, seine Kundgebung abzuhalten. Unter Beteiligung der Partei Christliche Mitte, dem Bund freier Bürger, die den österreichischen Neofaschisten Haider eingeladen hatte, und einer Abspaltung der rechtsextremen Republikaner-Partei (“Deutschland-Bewegung”)sammelte sich allerdings ein eher armseliges Häufchen – weitaus weniger als die angekündigten 1.000 DemonstrantInnen?). Wir waren der Meinung, daß diese erlesene Gesellschaft in der manchmal akademisch bornierten Universitätsstadt Tübingen dringend Unterstützung brauchen würde.
Tatsächlich waren bei der Kundgebung neben dem üblichen neugierigen Publikum nur etwa 40 Klerikale anwesend – gut, dass die neugegründete “Church of Subgenious” ihnen tatkräftig zur Seite stand. Während der Führer der Corpus-Christi-Gegner bereits im Namen der einheimischen Steuerzahler Gift und Galle gegen Schwule und Juden spuckte, zog unter ohrenbetäubendem Klang von Kirchenglocken die kleine, aber feine Prozession der Kuttenträger aus der Church of Subgenious auf dem Marktplatz ein und begann den Brunnen zu umkreisen. Unter einem schwarzen Baldachin wurde bedeutsam ein grosser weisser Block mitgetragen. “Die Ungläubigen sollt ihr nicht leben lassen – www.gott.de [3]”, verkündete ein Transparent. Ein hagerer Prophet in Mönchskutte, die Bibel in der Hand, verkündete dem Volk mit Donnerstimme die Worte des Propheten Hesekiel: “Am fünften Tage im vierten Monat des 30. Jahres, als ich unter den Weggeführten, am Fluss weilte, taten sich die Himmel auf, und Gott zeigte mir Gesichte”. Einige irregeleitete Klerikale versuchten ihn aufzuhalten, doch vergeblich – der hagere zweite Prediger sprach einfach durch sie durch, während seine Jünger als Angehörige einer ordentlichen Kirche die Anwesenden missionierten – mit völlig weißen Blättern auf denen das Wort Gottes verkündet wurde – lesbar allerdings nur für wahrhaft Gläubige, wie sie erklärten – für andere schienen sie einfach leer zu sein. Es war überhaupt ein seltsamer Platz, ein seltsamer Tag – eine weitere Bußprozession von acht Mönchen zog diagonal über den Platz, wobei sie sich rhytmisch mit grossen bibelartigen Büchern auf den Kopf schlugen. Ihre Kutten mit grossen Kreuzen auf dem Rücken hatten Ähnlichkeit mit den Kapuzenshirts der Autonomen. Die Lautsprecheranlage der Klerikalen war etwas schwach auf der Brust – doch die Church of Subgenious hatte in weiser Voraussicht eine Beschallungsanlage installiert, so dass speziell angeheuerte DJs die wütende Rede des Klerikalenführers mit dem Weihnachtsoratorium und dem Halleluja von Händel in der Version der Swingel Singers untermalen konnten, abwechselnd mit schnellen Opernarien. Der jedoch, in seiner Verblendung, drehte seine eigene Anlage hoch, die wiederum war nicht stark genug, um die Musik zu übertönen, so dass auf dem Platz ein eindrucksvoller rap mit Klassikuntermalung zustandekam. Die Lautsprecheranlage der Klerikalen war etwas schwach auf der Brust – doch die Church of the Subgenius hatte in weiser Voraussicht hoch über dem Platz eine Beschallungsanlage installiert, so dass speziell angeheuerte DJs die wütende Rede des Klerikalenführers mit dem Weihnachtsoratorium und dem Halleluja von Händel untermalen konnten, abwechselnd mit a capella gesungenen Orgelmotetten in der Version der Swingle Singers. Der fundamentalistische Prediger jedoch drehte in seiner Verblendung seine eigene Anlage hoch, die wiederum nicht stark genug war, um die Musik der höheren Sphären zu übertönen. Insgesamt ergab sich auf dem Platz ein eindrucksvoller Rap mit Kirchenmusikuntermalung. Nur manchmal ging die Musik aus, und man hörte im akustischen Salat den Priester brüllen. Er animierte die Leute zum Skandieren: “Wir sind das Volk!” Die Antwort kommt prompt: “Wir sind das Kreuz!” Und weiter: “Johannes Paul der Zweite, wir sind auf deiner Seite”. Die klerikale Tirade gegen verirrte, neurotische Schwule, die man auf den rechten Weg weisen müsse, denen die Bürgerrechte abzuerkennen seien, da sie ja keine Kinder kriegen und auch ansonsten der Gesellschaft nur schaden, wurde munter bekräftigt: “Wir wollen keine Schwulen außer in den Schulen”.
Das ganze ging um die zwei Stunden. Weder die Klerikalen noch die Church of Subgenious ließen locker. Dem Klerikalenführer wurde der ganze Zinnober zu viel, sein eigener Diskurs rutschte ihm durch die Finger – was als Rede für das berechtigte Anliegen der Bürger gegen die da oben gedacht war, das gesunde Volksempfinden , demzufolge keine Steuergelder für blasphemische Theaterstücke ausgegeben werden sollten, verkehrte sich in eine Bußpredigt – immer bekräftigt von Sprechchören: “Gott unser Vater geht nicht ins Theater”!. So wurde ihm die Universitätsstadtzu Sodom und Gomorrha, nicht mal das Vaterunser konnte man hier ordentlich beten (“Nebukadenetzer war ein alter Ketzer!”), die weihevolle Musik gefiel ihm nicht, er drohte mit Pech, Schwefel und Erdbeben und kündigte an, zum ersten Mal einer von ihm heimgesuchtenr Stadt seinen Segen zu verweigern.– und an diesem Punkt wechselten die DJs ihre Strategie. Mit ACDC und “Hell’s Bells” fingen sie an, die Versammlung auf dem Marktplatz in eine Party zu verwandeln. “Jesus ist die Liebe, bekämpfen wir die Triebe” war der Slogan, während der Klerikale von der Heimsuchung redete, die die Fundamentalisten erdulden müssten in Gestalt der Terroristen auf dem Platz, und verkündete, es seien Engel auf dem Platz, viele Engel, aber auch viele gefallene Engel... Die gefallenen Engel tanzten mittlerweile zum Pop, wobei sie sich mit den Zeigefingern kleine Hörnchen machten: “Bekämpft das Böse in jeder Möse, bekämpft es ganz, in jedem Schwanz!” Der Feind habe sein wahres Gesicht gezeigt, donnerte der Prediger, und tatsächlich rief der Feind, begleitet von “I’m a sweet transvestite” aus der Rocky Horror Picture Show: “Jetzt gehen wir aufs ganze, Jesus war ne Transe!” Außerdem wurde Serge Gainsbourg mit seinem berühmt-lustvollen Song ‚Je t’aime‘ gegeben – und all die “Opfer pervertierter Sexsucht” auf dem Platz griffen sich wen, um Stehblues zu tanzen – Männer mit Männern, Frauen mit Frauen, gemischt... Das gab den Fundamentalisten den Rest. “Schämt ihr euch denn nicht?” Niemand schämte sich. Der Versuch, mit dem Absingen der deutschen Nationalhymne den Tag zu retten, scheiterte allein schon an dem musikalisch unakzeptablen Niveau der Darbietung. Und während der Klerikale sich wutschnaubend verabschiedete von einer Stadt, in der man religiöse Gefühle ungestraft mit Füßen treten darf, ohne dass die Polizei eingreift, gab Wolfgang Ambros seinen alten Song zum besten: ‚Mir geht es wie dem Jesus – mir tut das Kreuz so weh..... Und wie der der Jesus sage ich mit lachendem Gesicht: Das Leben ist ein Heidenspass, für Christen ist es nichts...!‘ Verabschiedet wurden die Anwesenden vom DJ der Church of the Subgenius mit einem Dank fürs Kommen und für die schöne Stimmung, die sie verbreitet hätten, und mit einer Einladung, auch das nächste Mal wieder mitzumachen.
Die Frau, die in der Kneipe, in der wir hinterher einkehrten, war hell begeistert – wie viele von den Zuschauern, die froh waren, dass jemand den klerikalen Fundamentalisten die Suppe versalzen hat. Eine seltsame, und schnell, mehr oder weniger an einem Abend zusammengeschusterte Aktion – auf der Basis des Heimvorteilsund Ärger über die Zumutung, einen antisemitischen, homophoben Pfarrer im lokalen öffentlichen Raum paradieren zu lassen. Schließlich ging es nicht nur um einen isolierten Verrückten, sondern um einen breiteren, organisierten rassistisch-neofaschistischen Diskurs. Die Klerikalen hatten bereits einen Ruf für Gewalttätigkeit, so daß die Polizei ein großes Aufgebot in Resereve hatte – nicht direkt gegen uns, sondern gegen die aufgrund bekannter Maßlosigkeit bekannten Fundamentalisten, die in gewisser Weise zu unseren Partnern bei der Aufführung eines Happenings zur Feier ihrer eigenen Dummheit wurden. Es war wenig Zeit für Vorbereitungen, klar war nur, dass es nicht um eine Störung, sondern um die uns sinnvoll erscheinende Art der Unterstützung gehen sollte. Zentral für das Gelingen der Aktion war wie immer die enge Bindung an die Stadt – Kenntnis der Institutionen, der Diskurse, bestehende politische Netzwerke, persönliche Kontakte. Lokales Wissen war wichtig - etwa, um einen geeigneten Platz für das Soundsystem zu finden, das die akustische Hegemonie über den Platz garantieren sollte: Es musste ausserhalb des Zugriffs der Polizei sein. Mit der Aussage – wir wollen das örtliche Theater unterstützen, wer kann da helfen, stießen wir auf offene Ohren: Geh zum Soundso, der wohnt gegenüber vom Rathaus. Und Soundso sagt: Des LTT unterstützen - no frog i gar nix meh, kommet se no rei! So war es kein Problem, die Anlage in den Fenstern einer Wohnung zu über dem Marktplatz zu installieren. Es kommt darauf an, die Leute zu finden, die bereit sind, eine Aktion zu mitzumachen, auch wenn sie sie selbst nicht organisieren würden – und die gibt es immer. Angeblich hat auch das Theater mit Kutten aus dem Fundus mitgeholfen – aber man kann auch improvisieren, in unserem Fall waren es Kimonos von einem heimlichen Anhänger der buddhistischen Lehre. Es gab keine zentrale Planung, und es waren nicht viele – aber viele Leute haben die grundsätzliche Idee begriffen und dazu beigetragen. Die grundsätzliche Idee war eine subversive Affirmation der Form, aber nicht des Diskurses. Vermutlich hätte der klerikale Priester lieber eins auf’s Maul gekriegt und sich zum Märtyrer gemacht – aber den Gefallen haben wir ihm nicht getan, obwohl es schwerfiel, und er es mit seiner rechtsextremen, homophoben und antisemitischen Propaganda verdient hätte. Effektiver war das Prinzip der “taktischen Blamage” – “tactical embarrassement”. Statt sich auf den festgefahrenen Rahmen des Bildes Demo-Gegendemo einzulassen, das keinen Hund hinter dem Ofen hervorlockt, wurde eine Situation geschaffen, in der den Klerikalen trotz aller Mißbilligung des Chaos auf dem Platz nichts übrigblieb, als unter unserer Regie zu agieren. Dass es funktioniert hat, zeigt sich (abgesehen vom Lachreiz der Aktion) daran, dass der Priester seinen Diskurs änderte – von einer angenommenen Übereinstimmung mit den einheimischen, steuerzahlenden Bürgern driftete er in eine Beschwörung von Sodom und Gomorrha. Sein Ausweichen in eine Busspredigt war nicht dumm – er versuchte, die Definitionsmacht über die Show zurückzugewinnen. Sexbesessene Teufel, die nichts anderes im Sinn haben, als als sexbessessene Teufel beschimpft zu werden, tatsächlich so zu nennen, zielt ins Leere. Bei dieser Aktion war der Trick, die Gegenstrategie des Priesters vorauszuahnen, so daß alles, was er sagen würde, nur eine Affirmation der feindlichen Performance sein würde – der beste Weg, ihn in taktische Blamage zu treiben. Intuitiv wurde mit der “Church of the Subgenius” genau die Gegenstrategie des Klerikalen in Szene gesetzt – eine Bußprozession, die sich am Ende in eine Stehbluesorgie verkehrte und so doch noch zu einer Konfrontation wurde. Um zu Repräsentanten von Sodom und Gomorrha zu werden, brauchte man nur auf bekannte populärkulturelle Formen zurückzugreifen – Prozessionen und Karneval sind in den katholischen Teilen der Region bekannt, Prophetismus und Wanderprediger gehören zum protestantischen Langzeitgedächtnis, Partykultur ist Teil unserer Lebenswelt, die Stehbluesorgien kennen wir aus Teenagerzeiten. Der Trick war, das Spiel der Klerikalen mitzuspielen und schamlos zu übertreiben – mit ihren Codes herumzualbern und so die audiovisuelle Hegemonie über den öffentlichen Raum zu gewinnen. Mit der Methode der „taktischen Blamage“ (tactical embarrassement) wurden die Klerikalen ins Lächerliche gezogen, und damit wirksam entwaffnet.. Logisch, daß die lokalen Medien mit Genuss berichteten und die Blamage der Klerikalen nochmal verstärkten. Das Ganze war auf eine Art ein Happening, eine Performance. Politisch relevant wurde es aber erst dadurch, daß das Spektakel in eine öffentliche Veranstaltung und einen breiteren politischen Diskurs intervenierte. Ohne die tatkräftige Mitwirkung der Klerikalen hätte es nie funktioniert – schade dass sie so wenige waren.
basierend auf einem workshop mit ne pas plier, RTmark, Fiambrera und a.f.r.i.k.a. 08.08.00