die "autonome a.f.r.i.k.a-gruppe" oder wie werde ich kommunikationsguerillo

(von susanna niedermayr)

Schritt Nummer eins: Lösen sie sich von ihrem bürgerlichen Namen und ihrer persönlichen Lebensgeschichte. Werden sie Teil einer multiplen Persönlichkeit. Nennen sie sich zum Beispiel Sonja Brünzels oder Luther Blissett.

 Diesen taktischen Schachzug wenden die beiden Kommunikationsguerillos nicht aus Angst vor Öffentlichkeit an, versichern sie in ihrem Handbuch. Das Konzept der multiplen Namen, imaginären Persönlichkeiten und kollektiven Mythen ist ein direkter Angriff auf die ureigenste Kommunikationsform unserer Gesellschaft. Das Konzept untergräbt jeglichen Anspruch auf Einzigartigkeit und erklärt die gesamte Diskussion um Copyright-Regelungen für überflüssig.

 "Der multiple Name hebt die Trennung von Individuum und Kollektiv auf. Er verleiht den einzelnen in magischer Weise Anteil an der kollektiven Gestalt der imaginären Person, in der sich die Bewegung und die Kraft einer unsichtbaren Masse verkörpern. Die Masse gewinnt Gestalt, sie wird in der Form der imaginären Person zum handelnden Subjekt. Gerade die Namen-losen Unterdrückten haben dieses Prinzip immer wieder verwendet. So tauchte es beispielsweise bei den Bauernaufständen auf: 1514 zogen süddeutsche Bauern im Namen des "armen Konrad" ins Feld. Auch in einem aktuellen politischen Kontext tritt ein multipler Name in Erscheinung. Eine der genialen medienstrategischen Leistungen der zapatistischen Guerilla von Chiapas war es, den Namen ihres Sprechers Subcomandante Marcos zu einem kollektiven Namen zu machen. Schließlich konnten Zehntausende mit dem Ruf "Auch wir sind Marcos" durch die Straßen von Mexico City ziehen und sich damit in machtvoller Weise politisch artikulieren." 
(Aus dem Handbuch der Kommunikationsguerilla)

 Die zapatistische Guerilla von Chiapas repräsentiert eine der wenigen politischen Unabhängigkeitsbewegungen, die virtuellen und realen Raum in lebendiger Art und Weise miteinander verknüpft. Die meisten politischen Gruppierungen nützen das Internet lediglich als einen weiteren Distributionskanal. Die Schaffung einer linken Gegenöffentlichkeit im elektronischen Raum kann nur dann funktionieren, wenn endlich vom traditionellen Sender-Empfänger-Schema Abstand genommen wird. Zwei politische Anliegen dürfe man dabei nicht aus den Augen verlieren. Zum einen müsse man sich gegen Formen der marktförmigen Kontrolle, sowie der staatlichen Regulation wehren, zum anderen sei es wichtig, den Netzwerkgedanken in einen realpolitischen Kontext zu transportieren. Denn die Frage sei in erster Linie nicht, welche technischen Möglichkeiten sich durch die neuen Kommunikationsmedien ergeben, sondern wie sich eine Gemeinschaft an Leuten aufbauen läßt, die an einer innovativen Nutzung eben dieser Medien interessiert ist.

 Neben einigen grundlegenden kommunikationstheoretischen Überlegungen liest sich das Handbuch der Kommunikationsguerilla wie ein Nachschlagewerk für zeitgenössische Kunstgeschichte. Die "situationistische Bewegung" wird ebenso angeführt wie die dadaistische, unter den vermeintlichen Kommunikationsguerillos befinden sich Meister der Subversion, wie etwa die Herausgeber der Zeitschrift Adbusters, Graffitisprüher, die "Barbie Liberation Organisation" und zahlreiche andere Gruppierungen, die vorwiegend im Kunstkontext agieren. In der Tat ruft das Konzept der Kommunikationsguerilla bei Künstlern größeres Interesse hervor, als etwa bei Anhängern der klassischen Linken, bestätigen die beiden Vertreter der autonomen a.f.r.i.k.a gruppe. Sie selbst definieren sich klar, als eine autonome Bewegung, deren Ziel es ist einen zeitgemäßen linkspolitischen Diskurs zu eröffnen.

 Woran läßt sich erkennen, ob die Kommunikationsguerilla erfolgreich zugeschlagen hat oder nicht?

 "Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung werden verschiedene Einwände hinsichtlich ihrer Wirkungsmöglichkeiten formuliert; häufig werden ihre Aktionen als symbolische Politik bezeichnet und nach meßbaren Erfolgen befragt. Kommunikationsguerilla ist jedoch keine Strategie mit dem Ziel, das System aus den Angeln zu heben und die Macht zu erobern. Es ist wichtig, sich dieser Begrenztheit bewußt zu sein, und aus eben diesem Grund ist es sinnlos, von den Taktiken der Kommunikationsguerilla Hegemoniefähigkeit zu fordern. Das linke Denken hat sowohl in seiner sozialdemokratischen als auch in seiner marxistisch-lenistischen Spielart Politik immer an den Kriterien von Machteroberung und Hegemoniefähigkeit gemessen, aber kann es das Ziel emanzipatorischer Politik sein, Macht und Hegemonie zu erobern oder auch nur in irgendeiner Form selbst an einem hegemonalen Block zu basteln?" Aus dem Handbuch der Kommunikationsguerilla.

 Im Moment erscheint es nahezu unmöglich, ein wirklich tragfähiges Konzept einer besseren Gesellschaft zu entwickeln. Um so wichtiger sei es daher, die Aufmerksamkeit auf einzelne gesellschaftliche Werte zu lenken. Begriffe wie etwa Solidarität oder Gleichheit in der Differenz können nachwievor als nützliche Orientierungshilfen dienen. Wer sich unter diesen Begriffen in Netzwerken mit mir zusammenfindet, mit dem arbeite ich zusammen, meint Kommunikationsguerillo alias Luther Blissett. Letztendlich sei unter dem Begriff Kommunikationsguerilla alles möglich, fügt er hinzu, solange man dem Motto treu bleibt, die Codes der Herrschaft nicht zu zerstören, sondern sie zu entstellen und solange man auf sein konkretes sozialpolitisches Umfeld Bezug nimmt.

 Das Handbuch der Kommunikationsguerilla ist im Verlag Libertäre Assoziation Hamburg erschienen, mit dem Untertitel: Jetzt helfe ich mir selbst.

 montag, 22. 12. 1997

 Zur Orginalsite beim ORF 

 
 
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