Mit Lug und Trug zurRevolution

Guerillastrategien für dasKommunikationsgeflecht

aus: ak 408, 20. November1997

Ende Mai wurde sie vom Spiegel entdeckt: Die Schwindelschulederselbsternannten Kommunikationskritiker "autonome a.f.r.i.k.agruppe,Luther Blisset und Sonja Brünzels". Unter der RubrikKultur fand sicheine Würdigung des Handbuches derKommunikationsguerilla alskünstlerische Medienkritik, der einepolitische Motivierung nichtabzusprechen sei. Dem konnte die taz im Juninur noch hinzufügen,die Texte der autonomen a.f.r.i.k.a gruppe seienbemerkenswert lesbar.

Die Rezeption im linken Blätterwaldhingegen, namentlichzweite hilfe, konkret, Die Beute, junge Welt,Jungle World, Spex,SoZ, Graswurzelrevolution, Terz (Düsseldorf),StadtRevue (Köln),Ralf Rabe (Berlin) und amibeschränkt sich in der Regel aufden Hinweis, daß uns dieAutorInnen des Handbuches derKommunikationsguerilla nichts wesentlichneues präsentierenwürden bzw. in ihrem Bezug auf verschiedensteTraditionen"opportunistisch" (Jungle World) seien oder eine"Verwertbarkeitin Richtung Werbeagentur" (Die Beute) zu bemerkensei. EineDiskussion über Theorie und Praxis derKommunikationsguerillafindet in einem breiteren Rahmen allerdings trotzzahlreicher Artikelund einer ausgedehnten Promotionstour der AutorInneninden letzten Monaten nur in Ansätzen statt.

Ausgangspunktdes Konzeptes Kommunikationsguerilla sind die politischenErfahrungen derradikalen Linken in den letzten Jahren. Nicht zuletztder Asyldiskurs unddie Debatte um Innere Sicherheit als die beidengroßen ideologischenAuseinandersetzungen in der Bundesrepublik inden 90er Jahren zeigten,daß rational argumentierende Kritikerinnen undKritiker zunehmend insHintertreffen gerieten. Nicht etwa das bessereArgument trug zurAbschaffung des Asylrechts bei, sondern der geschickteUmgang mit dersymbolischen Ordnung und die Setzung von Themen jenseitseines vorhandenenoder nicht vorhanden rationalen Kerns. Beispielhaftsei hier an Methaphernaus der Biologie und Wortschöpfungenwie"Ausländerkriminalität" erinnert. Hier ist derAusgangspunktder autonomen a.f.r.i.k.a gruppe angesiedelt, eine radikalePositionim Feld gesellschaftlicher Kommunikation zu entwickeln und zuverankern.

Das Konzept Gegenöffentlichkeit, so deren These,sei letztlich aufgrundseines rationalen Kerns gescheitert. Die ihmzugrundeliegendeManipulationsthese führte zu der falschen politischenLinie,mittels sogenannter Gegenmanipulation (Agnoli) eine VeränderungderVerhältnisse über das bessere Argument und die"wahrere"Information erreichen zu wollen. Die AutorInnen plädierenhier füreine andere Analyseebene. Sie versuchen, denbestehendengesellschaftlichen Konsens ideologietheoretisch zu fassenundsubversive Strategien der Unterminierung gesellschaftlicherDiskurse zuentwickeln. Als theoretisches Gerüst dient ihnen dabeizum einenUmberto Ecos Aufruf zur Gründung einer semiologischenGuerilla von1967.
Das berühmte Zitat, daß nicht der Sessel desFernsehintendanten zubesetzen sei, sondern die vielen Sessel in denWohnzimmern vor denFernsehgeräten, spielt auf die zentrale und oftvernachlässigte Rolleder Rezeption innerhalb vonKommunikationstheorien an. Demnach istnicht allein die Botschaft innerhalbvon Kommunikationsprozessenentscheidend, sondern die spezifische Art undWeise der Rezeption,die Informationen für die Rezipienten erstherstellt. Zum anderenbeziehen sich die AutorInnen auf dasideologietheoretische Konzeptder kulturellen Grammatik, welches diefortwährende Reproduktionvon Macht und Herrschaft übergeschriebene und ungeschriebene Regeln,Konventionen und tagtäglicheVerhaltensweisen in den Mittelpunktpolitischer Auseinandersetzungrückt. Macht, so schlussfolgern siein Foucaultscher Manier,funktioniere nicht nur über Zwang, sonderngerade auch überIdentifikationsangebote. Unter Rückgriff aufGramscis Hegemoniebegriffwird der Versuch unternommen, das wasals kulturelle Grammatik bestimmtwurde, in einen Begriff vongesellschaftlicher Herrschaft einzubetten:Herrschaft setze sichin erster Linie auf materiell-ideologischer Ebenedurch, jedochnicht als Ideologie der Herrschenden, sondern alsBündelungverschiedenster auch widersprüchlicher Elemente. DieseArtKonsens verbinde Ideen und Vorstellungen von HerrschendenundSubalternen und sorge so für die relative Stabilitätderbürgerlichen Gesellschaft. Kritik, so läßt sich ausdieserVorstellung von Herrschaft folgern, darf sich also nicht nuraufblosse Inhalte konzentrieren, sondern muß auch immer die Formderkulturellen Grammatik mit-thematisieren.

Diesem recht avanciertentheoretischen Rahmen steht ein Bezug aufpolitische Praxis gegenüber,der sich auf kulturrevolutionäreAnsätze aus den verschiedenstenKontexten stützt. Imbundesrepublikanischen Rahmen spannt sich derBogen von denUmbrüchen Ende der 60er Jahre über die Kommune Ibis hin zuaktuellen Interventionen wie etwa der NOlympics-KampagneinBerlin 1992. Im internationalen Kontext sind es insbesonderedieAnsätze der Situationisten in Frankreich, der Autonomiaund derOperaisten in Italien, der Yippies in den USA undder Provos undHausbesetzerszene in den Niederlanden. AlsAktionsbeispiele werden unterden Stichwörtern Verfremdung,Überidentifizierung, Camouflage,Fake, subversive Affirmation,Entwertung und Umdeutung insbesondere solcheangeführt, die aufverschiedenste Art und Weise die kulturelleGrammatikdurcheinanderbringen: Das geplante Pudding-Attentat derKommune Iauf den US-Vizepräsident Humphrey, Der WahrhafteRapport über die"letzten Möglichkeiten zur Rettung desitalienischen Kapitalismus" vonGianfranco Sanguetti, dieEntblößung sozialistischerMachtästhetik durch dasKünstlerkollektiv Neue Slowenische Kunst,der Sprayervon Zürich, das Konzept ImageverschmutzungniederländischerAutonomer oder die Kunst des Tortenwerfens,praktiziert vonKees Stad. Diese Reihe aufgeführter Aktionen undKonzepteließe sich noch länger fortsetzten. Gemeinsam istallen,daß Politik nicht ausschließlich als ernstesGeschäft betrachtetwird, sondern durchaus Lust und Vergnügenbereiten soll. Diesubversive Kraft des wilden Lachens überMachtdemonstrationenund Herrschaftsrituale soll die Logik der vonherrschenderSeite produzierten Angstszenarien undgleichzeitigpräsentierten ordnungspolitischen Lösungendurchbrechen.

Zu bewundern ist die Ausdauer der AutorInnen, einenso breitentheoretischen und politischen Rahmen abzustecken. Kritischseiallerdings angemerkt, daß mittels PräsentationzahlreicherBeispiele der Eindruck entsteht, es existiere so etwas wieeineWeltbewegung der Kommunikationsguerilla, die an denverschiedenstenStellen Diskurse der Macht angreife. Daß dem nichtsoist, zeigt schon allein die marginale Rolle, die einsolches Konzept,wie es hier in Buchform vorliegt, innerhalbbundesrepublikanischer Debattenspielt. Der strategischeVersuch, über die dargestellte Bandbreiteeine solche politischeIdentität herstellen zu wollen, ist demnachnicht von der Handzu weisen. Darüber hinaus nimmt dieEinschränkung derAutorInnen, Kommunikationsguerilla sei nur dann zuempfehlen,wenn eine klassisch-aufklärerische Strategie versage, vielvonder Radikalität des vorgestellten Konzeptes. Es fehltletztlichdie zunächst erforderliche theoretische Entscheidung,welcheGewichtung welcher Ebene gesellschaftlicher Herrschaftzugesprochenwird. Die daraus folgende praktisch politischeIndifferenz,die freilich nicht allein den AutorInnen vorgeworfenwerden kann, sonderneher Ausdruck der Hilflosigkeitzahlreicher kritisch-emanzipatorischerProjekte zur Zeitist, trägt in einem nicht unerheblichem Maßezur Krise der Linken bei.Gerade Projekte der Gegenöffentlichkeit, wiees der AK eines ist,sind mit einer paradoxen Situation konfrontiert. Aufdereinen Seite machen die zunehmenden gesellschaftlichenAusschlüsseDiskussions- und Publiktionsmöglichkeiten jenseitsstaatstragender undmarktorientierter Periodika immer notwendiger,auf der anderen Seitekönnen sich immer weniger dieserForen aufgrund des Wegbrechenssozialer Zusammenhänge halten.Schleichend haben sich hierVeränderungen eingestellt:
Nicht mehr "pure" Information steht imMittelpunkt, sondern dieDiskussion über politische Strategien undPerspektiven.Traditionelle gegenaufklärerische Politikmuster solltenhier,so läßt sich mit den AutorInnen des HandbuchesderKommunikationsguerilla schlußfolgern, ihres rationalenKernsüberprüft werden und sich stärker auf die komplexenFormen derRezeption beziehen. Sich mit der Störung eingefahrernerBahnender Kommunikation zu beschäftigen, heißt jedoch nicht,keinepolitischen Inhalte mehr zu haben. Vielmehr geht es hier umeine inlinken Zusammenhängen längst überfälligeRevisionkommunikationstheoretischer Grundlagen.

 Gottfried Oy(Frankfurt/M.)

 autonome a.f.r.i.k.a.- gruppe, Luther Blissett,Sonja Brünzels:
Handbuch der Kommunikationsguerilla. VerlagLibertäre Assoziation,Verlag Schwarze Risse/Rote Straße,Hamburg/Berlin/Göttingen1997, 240 Seiten, 29,80Mark. 

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