Werkzeugkasten für subversive Praktiken

Kritik am Allerweltsbegriff Kommunikation: Das Handbuch der Kommunikationsguerilla und Guy Debords Panegyrikus
Für den Spiegel und deutsche Staatsanwälte geht das alles zu weit: An die Kommunikation, das leuchtende Wesen am Firmament des medialen Zeitalters, soll weitergeglaubt werden. Genau gegen diesen abergläubischen Götzendienst richtet sich das Handbuch der Kommunikationsguerilla . Schon bei der Frage, von wem das sehr gediegen aufgemachte Handbuch eigentlich stammt, wird die Sache schwierig. Die autonome a.f.r.i.k.a-gruppe ist noch das fassbarste Phänomen, denn die Gruppe gibt es wirklich. Sie hat schon mehrere Bücher herausgebracht, darunter eine gründliche Abrechnung mit jenen medialen Freiwilligen aus der Legion Schwarzkopf (Peter Rühmkorff), die sich während des Golfkriegs an der Kriegspropaganda verschluckten und nach dem Medienrummel nur noch den Wüstensand aus den Augen reiben konnten. Luther Blissett und Sonja Brünzels , die beiden anderen Autoren, sind dagegen multiple Namen , die jeder benutzen kann, der den Götzendienst Kommunikation subversiv unterlaufen will: mit Gerüchten, gezielten Falschmeldungen oder affirmativen Übertreibungen.
Sand im Getriebe
Das Handbuch versteht sich als Werkzeugkasten für subversive Praktiken. Obendrein enthält es eine geschichtliche Darstellung solcher Praktiken in Europa und in den USA und versucht, den Anspruch der Kommunikationsguerilla theoretisch und politisch einzuordnen. Guerilla ist dabei und das haben Spiegel und die deutschen Staatsanwälte nicht verstanden - metaphorisch und selbst-ironisch gemeint. Kommunikationsguerilla meint das Gegenteil von militärischem Kampf. Sie will nicht siegen, sondern den gesellschaftlichen Verhältnissen den falschen Schleier von Ordnung und Verlässlichkeit entwinden, indem sie beweist, dass Kornmunikation selbst eine Herrschaftspraxis ist.
Politisch verfügt die Kornmunikationsguerilla über keine Strategie oder allenfalls über deren Schwundform - die Nichtstrategie radikaler Kritik, der es nicht um Macht, sondern um Aufklärung geht. Sie reiht sich damit historisch in eine lange Reihe subversiver ästhetisch-politischer Bewegungen ein (Dada, Surrealisten, Situationisten, Provos). Historisch weit zurückliegende Vorbilder sind die Bewegungen des Armen Konrad im Bauernkrieg und des General Ludd im Kampf gegen die Industrialisierung. Der Anspruch der Kommunikationsguerilla ist sympathisch bescheiden. Sie ist nicht auf ehrgeizige Ziele eingeschworen, sondern hat ihre Niederlage eingeplant. Auch kluge Fälschungen, raffinierte Gerüchte und stilsichere Umdeutungen von Symbolen und Machtreliquien werden, früher oder später erkannt, dementiert oder gar vom herrschenden Betrieb angeeignet und vertmarktet. Die Kritiker des Fetischs Kommunikation wollen kein System zerstören, sondern allenfalls ein wenig Sand bereitstellen, um den vermeintlich runden Lauf der Dinge zu konterkarieren: Kommunikationsguerilla ist ein Versuch, linke Politik durch den Angriff auf die ästhetischen Konventionen der Macht zu erweitern. 
Theoretisch stützt sich das Handbuch ganz wesentlich auf die Arbeiten Guy Debords (1931-1994) und die Praxis der von ihm gegründeten Situationistischen Internationalen . Debord veröffentlichte bereits vor dreissig Jahren eine radikale Medierikritik ( Die Gesellschaft des Spektakels ), in deutscher Übersetzung in der Edition Tinmat erschienen.
Lobrede auf den Unglücklichen
Der gleiche Verlag brachte nun Debords Panegyrikus heraus. Barocke Anspruchsfülle und unzeitgemässe Selbstgewissheit sind Debords Markenzeichen: Ich bin überzeugt, einer der sehr raren Zeitgenossen zu sein, die etwas geschrieben haben, ohne sofort durch das Zeitgeschehen dementiert worden zu sein. . Mit dem Panegyrikus - also nichts Geringerem als einer Lobrede auf sich selbst - hat er diesen Anspruch auf die Spitze getrieben. Das schmale Bändchen sollte der erste Band seiner Autobiographie sein, aber mehr konnte nicht mehr erscheinen. Am 30. November 1994 hat er sich das Leben genommen. Am eigenartigsten an diesem Büchlein ist, dass die sprachlich kunstvoll gedrechselte Selbstgewissheit nicht in Überheblichkeit kippt. Im Gegenteil - je selbstsicherer Debord auftritt, desto bestimmter stellt sich der Eindruck ein, die Lobrede auf sich selbst gelte einem Unglücklichen. Debord stammte aus bescheidenen Verhältnissen - keine Erbschaft, keine Ausbildung, keine Mitgliedschaft in Intellektuellenclubs -kurzum ein Doktor in nichts , ausgestattet mit grosser Faulheit, Trunk-sucht ( meine beständigste und offenkundigste Leidenschaft ) sowie einem enormen Willen gegen die Zwangsarbeit , irgendwie Karriere machen zu müssen.
Exzesse en détail
Debord ist ein Meister lapidarer Kürze - und er verrät auch, warum:
Das Schreiben muss etwas Seltenes bleiben, da man lange getrunken haben muss, bis einem etwas wirklich Hervorragendes einfällt. Der Panegyrikus verschweigt, wovon Debord, der stolz war, lebenslang nicht für Lohn gearbeitet zu haben, gelebt hat. Sein Hang zur Diskretion ist ebenso notorisch wie das Fehlen jeder Scham, über Exzesse... an der Festtafel des Lebens en detail zu berichten. Als Jugendlicher besorgte er sich, was er brauchte, und lebte im Milieu unter kleinen Kriminellen. Später dürften ihm Lebensgefährtinnen geholfen haben, und 1988 kam er mit seinen Büchern bei der Nobeladresse des Verlags Gallimard unter, was konservative Kritiker hämisch als späte Anpassung tadelten. Debord sah das anders: Ich habe nie begriffen, worin (das Leben) hätte anders sein können oder wie man es rechtfertigen müsste. 
Auf eine Fortsetzung des Lobredners ist nicht mehr zu hoffen. So muss man sich mit ein paar Andeutungen zur Erniedrigung von Paris mit seinem Ameisenhaufen motorisierter Sklaven abfinden. Niemand ausser Debord, der einen grossen Teil seines Lebens im 5., 6. und 7. Pariser Arrondissement verbracht hat, könnte vor Augen führen, was in den letzten dreissig Jahren in diesen Stadtbezirken an urbanem Leben zerstört worden ist und weiterhin zerstört wird. Einiges dazu kann man jedoch in den zwölf Nummern seiner Zeitschrift Internationale Situationniste (1958-69) nachlesen. Ein vollständiger Nachdruck ist bei Fayard in Paris, eine Auswahl in der Edition Nautilus erschienen.

 Rudolf Walther

 Autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe/Luther Blissett/Sonja Brünzels: Handbuch der Kommunikationsguerilla". Verlag Libertäre Assoziation, Hamburg 1997.240 S., Fr. 27.50.
Guy Debord: Panegyrlkus . Edition Tiamat, Bern in 1997. 93 S., Fr. 26.-.

aus: Basler Zeitung, 6. November 1997.

 
 
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