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"Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen statt sie zu zerstören?"

Eine nicht mehr ganz frische Veröffentlichung ist den geneigten LeserInnen anzuzeigen. Schon im Frühjahr erschien das Handbuch der Kommunikationsguerilla von luther blissett, sonja brünzels und der autonomen a.f.r.i.k.a.-gruppe, das jetzt seine zweite Auflage erlebt.

We have declared ourselves to be the famous and fabulous forerunners of communkation guerilla because we desire fame, money and beautiful lovers

"Was in diesem Buch versucht wird, ist paradox. Hier wird auf höchst ernsthafte Art die graue Theorie einer Praxis vorgestellt, die nicht nur subversiv ist, sondern auch noch Lust und Vergnügen bereitet. Die Autorinnen haben die Nase voll von der Ausschließlichkeit furztrockenen Flugblattschreibens und dem Dogma, daß Linke bestenfalls über politisches Kabarett lachen dürfen, ansonsten aber zeigen müssen, daß sie das Leid und die Ungerechtigkeit der Welt auf ihren schmächtigen Schultern tragen. Klar: Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Trotzdem möchten viele ein Leben leben, das anderem als Konkurrenz oder Leistungsdenken verpflichtet ist und darüber hinaus Ausstrahlungskraft entfaltet. Kommunikationsguerilla könnte ein Teil einer solchen Praxis sein."

Das Buch enthält viele Geschichten von Ereignissen, ohne sie zu theoretischem Trockengemüse zu verarbeiten. Es wäre auch fatal, die vorgeschlagenen theoretischen Begrifflichkeiten als nachzuexerzierendes Regelwerk zu sehen und die eigene Praxis in ein Korsett zu zwängen, das unkontrolliertem Begehren, Lust und Vergnügen keine Chance läßt.
Dieses Buch stellt - auch wenn über die vorgeschlagenen Einschätzungen oder verwendeten Beispiele keine Einigkeit herrschen wird - einen Werkzeugkasten dar, der die/der Leserin benutzen kann, der Wörter, Metaphern und Bilder anbietet, der dazu anregt, selbst über ähnliche Möglichkeiten in der eigenen Praxis nachzudenken. Und indem mensch das tut, entwickelt mensch die Praxis weiter.Das ist auch der beste Beitrag für eine künftige Theorie der Subversion.

WAS IST KOMMUNIKATIONSGUERILLA?
Mit dem Konzept Kommunikationsguerilla möchten die AutorInnen zu anderen Formen der politischen Auseinandersetzung anregen, die zwar schon lange zur Praxis linker Gruppierungen gehören, aber allzuoft als nicht ernstzunehmende Späßchen am Rande der eigentlichen politischen Arbeit unterschätzt wurden. Dieses Handbuch diskutiert solche Formen subversiver politischer Praxis, ihre Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen.
Sein Ausgangspunkt ist neben der anhaltenden Unversöhnlichkeit mit der kapitalistischen Produletionsweise, mit menschenverachtenden Machtstmkturen und Vergesellschaftungsformen auch die Unzufriedenheit mit einer linksradikalen politischen Praxis, die zwischen unbedingter Militanz, pragmatischer Realpolitik und reiner Ideologiekritik herumeiert(e). Das Konzept Kommunikationsguerilla ist Teil eines Prozesses, in dem gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse kritisiert und angegriffen werden - Nationialismus, Sexismus/Patriarchat, Rassismus und die kapitalistische Produktionsweise. Es betrachtet die Normalisierung solcher Herrschaftsverhältnisse auf der Ebene der gesellschaftlichen Diskurse und der Formen der Kulturellen Grammatik und formuliert Ansatzpunkte dafür, wie sie in Frage gestellt werden können.

Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen statt sie zu zerstören?" (Roland Barthes)

Kommunikationsguerilla will die Selbstverständlichkeit und vermeintliche Natürlichkeit der herrschenden Ordnung untergraben. Ihre mögliche Subversivität besteht zunächst darin, die Legitimität der Macht in Frage zu stellen und damit den Raum für Utopien überhaupt wieder zu öffnen. Ihr Projekt ist die Kritik an der Unhinterfragbarkeit des Bestehenden. Sie will geschlossene Diskurse in offene Situationen verwandeln, in denen durch ein Moment der Verwirrung das Selbstverständliche plötzlich in Frage steht. Jede Aktion ist dabei für sich genommen nur ein momentaner oder lokaler Modus der Grenzüberschreitung. Aber je öfter politische Gruppen Räume öffnen, anstatt sie zu schließen und zu fixieren, desto mehr Möglichkeiten für Visionen und kleine Vorgriffe auf Alternativen zur bestehenden Gesellschaft kann es geben. In solchen Momenten ist es auf einmal möglich, daß Subjekte anders agieren als sonst, daß sie Praxen entwickeln, bei deren Ausübung sie sich ändern können, nicht nur in dem, was sie sagen, sondern auch in dem, was sie tun.

Bei der Suche nach solchen Interventionsformen ließen sich die AutorInnen von Personen, Gruppen und Bewegungen anregen, die sich Gedanken über das Verhältnis von Macht, Sprache und Subversion, von Kunst, Technik, Kultur und Politik gemacht haben. In der imaginären Ahnengalerie dessen, was in diesem Buch Kommunikationsguerilla genannt wird, finden sich so unterschiedliche Vorgänger wie die Situationistische Internationale, die 77er Bewegung in Italien, die Kommune 1 in der BRD, die Yippies und die Culture Jammers in den USA oder die Psychogeographen in Frankreich, Italien und England.

Das Konzept Kommunikationsguerilla ersetzt keine inhaltliche und organisatorische Arbeit, keine Antifa-Aktionen, kein theoretisches Programm und auch keine eigenen Medien; es steht auch nicht im Widerspruch zu einer Politik der Gegenöffentlichkeit. Aber dort, wo AuIklärung nicht ankommt, kann Kommunikationsguerilla die wirksamere Taktik sein.
KommunikationsguerilIa kann den hegemonialen Konsens für Augenblicke ins Wanken bringen und die bürgerliche Öffentlichkeit in wechselnde, nicht immer vorhersehbare Konstellationen von Angegriffenen, Mitwirkenden und Zuschauerlnnen spalten. Während die Angegriffenen mit Widerstandsformen konfrontiert werden, die sie in unerwartete und kaum kontrollierbare Situationen bringen, wird im Idealfall für die unfreiwillig Mitwirkenden, die ZuschauerInnen wie die Indifferenten eine soziale Praxis sichtbar, die nicht als Frontalangriff auf die eigene Identität gelesen werden muß, sondern als genußversprechendes Angebot, sich auf gedankliches Neuland einzulassen. Dabei kann durchaus offen bleiben, wer hier überhaupt agiert und welche Aussagen und Konzepte hinter den jeweiligen Aktionen genau stehen - die Kritik ergibt sich aus der Situation.
Bei der Entscheidung für den Begriff Kommunikationsguerilla hat sicher auch eine ungern eingestandene Revolutionsromantik Pate gestanden. Aber tatsächlich bietet sich die Guerilla-Metapher für dieses Projekt an: Guerilla agiert nicht aus der sichtbaren Position eines offiziellen Heeres heraus, sondern aus den zerklüfteten Abwegen abseits befahrener Routen. Guerilla besteht nicht aus vielen, auch wenn sie auf das Einverständnis der Bevölkerung angewiesen ist oder zumindest von ihr geduldet wird. Ihre Taktik beruht auf Kenntnis des Terrains, sie agiert lokal und punktuell. Guerilleras handeln aus dem Verborgenen - und bevor sie erwischt werden, wechseln sie den Standort. Sie stellen sich nicht dem offenen Kampf, denn sie hätten gegen die Übermacht der ordentlichen Verbände wenig Chancen. Übertragen auf den Kommunikationsprozeß heißt das: Sie entwischen dern vorgegebenen Rahmen von Argumentationsstrukturen und haben ihre eigenen Vorstellungen davon, was sich gehört und was nicht.

Der Vielfalt der dargestellten Aspekte trägt der collageartige Aufbau des Buches Rechnung. Die Leserlinnen erwarten drei verschiedene Textarten, die jeweils durch unterschiedliche Schrift gekennzeichnet sind. Zum ersten fmden sie Beschreibungen der kommunikativen Prinzipien, Methoden, Techniken und Werkzeuge der Kornmunikationsguerilla sowie Texte, die sich um eine theoretische Einordnung bemühen und den Stellenwert der Kommunikationsguerilla für eine emanzipatorische und gesellschaftsverändernde Praxis diskutieren. Zum zweiten wird auf Praxen, Strömungen und Gruppen hingewiesen, die von ihrer Theorie oder Praxis her eine Nähe zur Kommunikationsguerilla aufweisen. Es ist klar, daß diese kurzen Darstellungen nicht der Komplexität jeder Gruppe gerecht werden können. Manche Gruppen sind von ihren Methoden her anregend, erscheinen jedoch in ihrer politischen Uberzeugung nicht den Zielen der emanzipatorischen Linken verpflichtet. Sei's drum, es ist jedenfalls produktiver, sich von ihnen anregen zu lassen und dabei das zu entwenden, was brauchbar ist, als ständig ihre Abweichungen von der korrekten Linie zu benoten. Und in diesem Sinne sollen die Beispiele der dritten Textart beim Lesen zugleich Vergnügen bereiten und Aha-Erlebnisse ermöglichen.
Das Handbuch ist nicht vollständig, und wer etwas vermißt, kann über die email-Adresse afrika@contrast.org Ergänzungen, Hinweise, Beschreibungen und auch Widerspruch loswerden. 
Sehenswert ist auch das Archiv der Kommnunikationsguerilla im Internet:
http://www.contrast.org/kg.

Wer derlei spannend findet, kann Sonja Brünzels und Luther Blissett am 19. 11. in Mannheim bei der Rosa Luxemburg Gesellschaft erleben: Die beiden kämpfen nicht nur mit Worten, sie zeigen auch einen Film mit allerlei gar erbaulichen Beispielen.

Matthias

aus:
Dichtung & Wahrheit für Mainz, Wiesbaden und Umgebung, Nr. 68/November 1997
Redaktionsadresse: 
Kaiser-Wilhelm-Ring 11
55118 Mainz
(06131) 611973

 
 
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