Wie kann Kommunikation Guerilla werden?

Wie ihr den letzten Ausgaben der MC entnehmen konntet waren einSonja Brünzels undeine Luther Blisett auch im Pott auf Tour um das von ihnen und der autonomen a.f.r.i.k.a.-gruppe herausgegebene Handbuch der Kommunikationsguerilla zur Diskussion zustellen. Die Veranstaltungen waren gut besucht und könnten den Anfangeiner interessantenDebatte zu autonomer bzw. linksradikaler Theorie und Praxis darstellen. IndiesemSinne hier nun eine Besprechung des Handbuchs, die einen Anreiz zur(weiteren) Auseinandersetzung geben will.

Egal ob ihr nun erwartet eine für euch lockere Praxisanleitungfür den nächsten Besuchdes Kanzlers in eurer Stadt zu finden oder das Buch erst gar nicht in dieHand nehmt,weil ihr eh nur so'n trockenen Theorieschinken erwartet - das "Handbuch derKommunikationsguerilla" wird euch enttäuschen. Nach dem Willen derAutorInnen soll das Buch"einen Werkzeugkasten bereitstellen", in den die LeserInnen zurWeiterentwicklungihrer Praxis greifen können und damit liegen sie gar nicht so daneben,wie ich meine.

In die Ahnengalerie der Kommunikationsguerilla (KG) reihen sich sounterschiedlicheGruppen ein wie die Situationistische Internationale, die AutonomiaOperaia, dieKommune I, Chumbawamba oder die Yippies. Die entscheidende Gemeinsamkeitfindet sichin der praktischen Bejahung folgender Frage: "Ist die beste Subversionnicht die, Codeszu entstellen statt sie zu zerstören?" (Roland Barthes). SubversivePhilosophie taugtnatürlich nur, wenn sie auch praktisch wird. Blättern wir dochmal einfach im Kapitel"Praxen & Anläße" unter "Voller Wix & blosseKörper" nach.

Seit einigen Jahren finden sich zum traditionellen 1. Mai-Singen derBurschenschaftlerin Tübingen auch Gäste ein, die sich mit Topfschlagen oderAbsingen der Internationalenimmer wieder unbeliebt machen. Eine Polizeisperre sorgt aber dennochfür den gesicherten Ablauf der Fackelparade. 1995 soll alles ein weniganders werden: Eine Deutsche-Kriegsverbrecher-Diashowauf der Kirchenwand begleitet von beschwingter Klaviermusik sorgt fürVerwirrung.Das Chaos ist perfekt als zwölf unbekleidete Jünglinge mitTransparenten ("Versöhnt Euch. Tübinger Stadtmission", "Jesusliebt uns alle") zu derHenry-Maske-Hymne tänzelnd die Sperrzone betreten und auf dieuniformierten Männerbündlerzugehen. Einige der schlagenden Gemeinde müssen von der Polizeizurückgehalten werden, andere summen verschämt die Melodie mitoder lachen blöde. Bald haben sich alleUniformierten vom Ort des Geschehens zurückgezogen, ein rosaumnebelter Techno-Lastwagenüberquert den Platz und kündigt den vom TübingerWohlfahrtsausschuß veranstalteten Rave an: "Vorsprung durchTechno".

Nicht zu jedem bekämpfenswerten Anlaß verspricht eine derartigeNacktshow auch erfolgreichzu sein. Wie stellen wir es also an, jeweils in der vorstellbargeeignetsten Artund Weise subversiv ins herrschende Geschehen einzugreifen? Back tothe basics. Das Inhaltsverzeichnis bietet da das Kapitel "Kulturelle Grammatik &Subversion"an. Hier geht's tatsächliche um so was wie die uns bekannte Grammatikbzw. um ihreFunktionsweise. Ähnlich wie bei der im Deutschunterrichteingehämmerten Grammatik,handelt es sich bei der kulturellen Grammatik um ein Regelsystem, dasästhetische Codes undVerhaltensregeln vorschreibt damit mensch für "normal" gehalten wird.So würde derHerr Gesundheitsminister (bis dato) wohl kaum ernst genommen werden, wenner seinem Wahlvolk' frenetisch ein "Super! Super! Super! Sie können sich inZukunft ganz eigenverantwortlichum ihre Gesundheit kümmern. Freuen sie sich?" entgegenbringt. DerShowmaster in derGlotze vermittelt mit diesem Verhalten hingegen recht erfolgreich dieIllusion vom sorgenfreien Leben. Kulturelle Grammatik differenziert sichetwa nach geschlechts-oder klassenspezifischen Codes aus, bestimmt wer sich in welcher sozialenSituationwie verhalten darf bzw. kann und sichert so die komplexen Herrschafts- undMachtverhältnisse zu einem nicht unwesentlichen Teil. Hier setzen dieKG-Taktiken an: "Innerhalbdieser Machtstrukturen der gesellschaftlichen Kommunikation anders zuagieren alsvorgesehen, sich bestimmten Formen der Kommunikation und des Dialogs' zuentziehen, kann eine deutliche Kritik an scheinbarselbstverständlichen Machtstrukturen sein."Und es versteht sich von allein, daß jede/rKommunikationsguerillera/o eine einsin kultureller Grammatik hat.

Mit welchen Mitteln die Sabotage am herrschenden Diskurs (bisher)bewerkstelligt wurde,versucht das Kapitel "Prinzipien & Methoden" zu vermitteln. Neben derÜberidentifizierung(you remember: zwölf Jünger') gehört das Fake zu einem derinteressantesten der zahlreichen KG-Werkzeuge.Etwa mit einem gut duplizierten amtlichen Briefkopf und einer im bestenBeamtInnendeutschformulierten Überspitzung der behördlichen Schweinereien,läßt sich das Fake als Bauchrednerin der Macht hervorragend zumprovozieren von unerwünschten öffentlichenDebatten einsetzen. Das verzögerte und gewollte Auffliegen kann sogarrecht erfolgreichsein, weil es die angeblich unabänderlichen Strukturen derKommunikation selbst in Frage stellt.

Kommunikation zur Guerilla werden zu lassen, ersetzt keine Antifa-Aktionoder jedeandere klassische' Widerstandsform gegen den ganz normalen Wahnsinn. KGbietet aberdie Möglichkeit, auch als kleine Gruppe erfolgreich diebürgerliche Öffentlichkeitein wenig zum Tanzen zu bringen. Das Handbuch der Kommunikationsguerillagibt darüber hinausviele Anstösse über Zustand und Perspektiven linksradikalerPolitik zu diskutieren,wobei der Bezug zur Praxis alles andere als flöten geht. Also dann:Faken! Faken!Faken! Und immer an die kulturelle Grammatik denken.

autonome a.f.r.i.k.a gruppe, Luther Blissett, Sonja Brünzels: Jetzthelfe ich mirselbst. Handbuch der Kommunikationsguerilla. Verlag LibertäreAssoziation / SchwarzeRisse - Rote Strasse, 235 Seiten, 29,80 Mack
L.B.

aus:
MOTTEK CRESCENDO - Zeitschrift aus'm Ruhrgebiet Nr. 4/1997 (September) 

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44894 Bochum
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